Hovhaness, Alan

Klavierwerke

Verlag/Label: Dynamic CDS 7701
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/04 , Seite 75

Musikalische Wertung: 4

Technische Wertung: 4

Booklet: 4

Der Amerikaner Alan Hovhaness, der im Jahr 2000 im Alter von 89 Jahren starb, war sicherlich einer der produktivsten Komponisten des 20. Jahrhunderts: Mehr als 500 Opusnummern umfasst sein Werkkatalog; darunter befinden sich allein 67 Sinfonien. Dass sein Schaffen in Europa bislang kaum gewürdigt wurde, liegt wahrscheinlich in dem Umstand begründet, dass er keiner wie auch im­mer gearteten Schule oder Richtung zuzuordnen ist. Die kompositorischen Entwicklungen der europäischen Moderne schienen ihn nicht zu interessieren; von der Tonalität hat er sich niemals entfernt – auch wenn diese kaum jemals etwas mit der herkömmlichen Dur-Moll-Tonalität zu tun hat. Von Anbeginn seines Schaffens wandte er sich östlichen Kulturkreisen zu – einerseits verschiedenen Traditionen der indischen Musik, andererseits der armenischen Folklore, die ihm aufgrund seiner Abstammung (sein Vater war armenischer Herkunft) besonders am Herzen lag.
Die junge italienische Pianistin Alessandra Pompili präsentiert auf der vorliegenden CD einen Querschnitt aus Hovhaness’ Klaviermusik, der sich von einigen hier erstmals eingespielten Frühwerken aus dem Jahr 1938 (die beiden Ghazals op. 36 und die Fantasy op. 15) bis zur 1985 vollendeten Sonate Cougar Mountain op. 390 erstreckt. Die «armenische Periode» des Komponisten ist mit den Twelve Armenian Folksongs op. 43 dabei ebenso vertreten wie seine Beschäftigung mit indischen Elementen, z. B. in der Suite Shalimar op. 177. Alle eingespielten Werke sprechen eine geradezu provozierend einfache, ja karge Tonsprache, die in ihrer Schlichtheit nichtsdestoweniger zu faszinieren vermag. Als Vergleich könnten höchstens die Klavierstücke Erik Saties und Federico Mompous herangezogen werden, doch finden sich in Hovhaness’ Mu­sik weder der sardonische Witz des Franzosen noch die nostalgische Melancholie des Katalanen. Wir vernehmen vielmehr eine konsequent auf die Parameter Melodie und Rhythmus konzentrierte Musik unter Verzicht auf jedwede «Entwicklungen», wie sie Kompositionstechniken west­europäischer Provenienz zu eigen sind. Auch bei der Sonate Cougar Mountain handelt es sich eher um eine viersätzige Suite. Und schon in der frühen Fantasy, in der sich noch am ehesten pianistisch virtuose Elemente finden, zeigt sich, dass der orientalische Einfluss in Hovhaness’ Tonsprache stärker ist als Inspirationen durch die klassische Klaviermusik-Tradition.
Der Versuchung, aus diesen Stücken «etwas zu machen», sie dynamisch oder klangfarblich zusätzlich aufzupolstern, widersteht Alessandra Pompili konsequent. Sie besitzt stattdessen ein untrügliches Gespür für die ganz eigene Physiognomie der größtenteils epigrammhaft kurzen Stücke sowie für die spezifisch indischen Rhythmusmodelle etwa in der Shalimar-Suite. Das Klangbild ist recht trocken geraten, was der kristallinen, ornamentlosen Klarheit der Musik aber letztlich nicht schadet.
 
Thomas Schulz