Drees, Stefan
Körper Medien Musik
Körperdiskurse in der Musik nach 1950
Kaum ein Thema beschäftigt die Geisteswissenschaften seit den 1980er Jahren so anhaltend wie der menschliche Körper. Das ausgeprägte Interesse war eine zwingende Folge der vorausgegangenen ästhetischen Umwälzungen. Seit sich die Kunst den irdischen Phänomenen wie blutenden Wunden, Erfrierungen, Schweiß und Atemnot widmet, aber auch mit den technischen Erweiterungen des Körpers arbeitet, ist der menschliche Leib zum Kunstobjekt und damit auch zum Gegenstand der Diskussion geworden.
Der Essener Autor Stefan Drees hat den «Körperdiskursen in der Musik nach 1950» einen kompakten Band gewidmet. In sechs Kapiteln, die ihren Ursprung jeweils in Einzelvorträgen und Aufsätzen haben, unternimmt er den Versuch, die entsprechenden Tendenzen der so genannten Kunstmusik zu kategorisieren. Die Darstellung umfasst Kompositionen, Happenings, Performances, Videokunst, aber auch Exkurse zur Bildenden Kunst und zur Literatur, was aufgrund der multimedialen Arbeiten und der inhaltlichen Bezüge geradezu zwingend erscheint. Vollständig ausgeklammert bleibt lediglich die U-Musik. Pop, Rock, Jazz und Techno finden schlichtweg nicht statt, würden aber den Rahmen dieser Publikation sprengen.
Neben rein körperbezogenen Werken steht vor allem die mediale Einbindung und Inszenierung des menschlichen Leibs im Zentrum der Darstellungen, womit Drees eines der wichtigsten Themen des jüngeren Kunstschaffens einbezieht. Nachdem das erste Kapitel die Pionierinnen der Vokalartistik sowie verwandte Werke von Luciano Berio, Dieter Schnebel und Hans-Joachim Hespos vorstellt, widmet sich die folgende Darstellung den intermedialen Arbeiten Nam June Paiks, die sich bis heute als Referenzwerke behaupten und daher die Ausführlichkeit rechtfertigen, mit der Drees sie vorstellt. Das vielleicht interessanteste Kapitel behandelt den «hybridisierten Körper». Hier schlägt der Autor den Bogen von Oswald Wieners «Bio-Adapter» zu Sensor Gloves, über Cyber Suits, Virtual und Amplified Bodies bis hin zu den den Performances des Künstlers Stelarc. Dass hier mit Cyborgs auch die prägende Kraft popkultureller Kinophänomene erwähnt wird, verleiht der Lektüre einen Reiz, der weit über die musikalische Bestandsaufnahme hinausreicht.
Drees zitiert dabei eine beeindruckende Fülle von Sekundärliteratur, was allerdings mitunter die Lektüre behindert, vor allem dann, wenn die wörtlich zitierten und nicht immer originellen Passagen überhand nehmen. Er selbst formuliert oft weitaus prägnanter, so auch im Abschnitt über den «Umgang mit dem beschädigten Körper» mit beispielhaften Werken von György Kurtág und Helmut Oehring. Nach dem obligatorischen Kapitel über den Körper im musikalischen Theater endet der Band etwas unvermittelt beim Körper des Rezipienten, der Raumerfahrung in der Klangkunst und den Wahrnehmungsveränderungen durch MP3-Player. Ein Schlusswort wäre vielleicht, allein der Dramaturgie halber, wünschenswert gewesen, ist aber nicht unabdinglich. Körper Medien Musik ist ohnehin kein selbstverliebter Essay, sondern vielmehr eine kurz gehaltene, fundierte Einführung in ein komplexes Thema.
Martina Seeber