Stockhausen, Karlheinz

Kontra-Punkte / Refrain / Zeitmasze / Schlagtrio

Verlag/Label: Wergo WER 67172
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2009/06 , Seite 82

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 3
Booklet: 5
Gesamtwertung: 4

 

Karlheinz Stockhausen war in den 1950er Jahren einer der führenden Vertreter des Serialismus. Doch die analytische Zergliederung des Materials in seine einzelnen Parameter macht noch keine Musik. Dem Rationalismus der Konstruktion steht bei Stockhausen einerseits ein religiöser Mystizismus gegenüber – vergleichbar dem Gottglauben eines Atomphysikers –, andererseits seine überragende Musikalität. Bezeichnenderweise hat der Komponist, wie Richard Toop im Booklet der vorliegenden CD ausführt, viele Stücke dieser Zeit vor der ersten Aufführung noch einmal modifiziert, um sie «anhörbar» zu machen. So besteht ein wesentlicher Effekt des Holzbläser-Quintetts Zeitmasze in seinen nachträglich eingefügten «Einschüben», die, da sie vom Atemvorrat und der Fingerfertigkeit der Interpreten abhängen, der linearen, messbaren Zeit eine unwägbare Komponente hinzufügen. In der Einspielung des ensemble recherche ist dieser «irrationale» Aspekt am besten in den phonetisch, aber nicht in der Tonhöhe festgelegten «Zwischenrufen» erfahrbar, welche die Komposition Refrain für Klavier, Celesta und Vibrafon bereichern.
Aber alle vier auf der CD vertretenen Stücke sind in Originalaufnahmen mit Stockhausen selbst, Aloys Kontarsky, Christoph Caskel und anderen weiterhin erhältlich. Wenn ein so renommiertes Ensemble wie recherche unter der Leitung von Rupert Huber diese Kompositionen neu einspielt, darf man höchste Qualität erwarten. Das genau ist aber paradoxerweise das Problem: Wenn das Knistern des gewagt Neuen – und der Nadel auf der Schallplatte – fehlt, klingt Kontra-Punkte für zehn Instrumente perfekt – und vergleichsweise leblos. Dieser Musik heute etwas Neues abzugewinnen, würde voraussetzen, sie mit anderen Ohren hören zu können. Dies scheint momentan aber (noch?) nicht möglich: Stockhausen ist noch nicht wirklich ein Klassiker, aber die Kompositionen von vor fünfzig Jahren sind nun beim besten Willen auch nicht mehr neu. So wirkt die CD wie eine akademische Pflichtübung und erweckt wie die vielen Aufführungen zwei Jahre nach dem Tod des Komponisten den Eindruck, dass sich die einst «Neue Musik» zunehmend konservativ an ihre Gründungsväter klammert.
Immer noch überzeugend klingt dagegen das letzte und früheste Stück auf der CD, das Stockhausen am wenigsten nachträglich veränderte: Das 1952 geschriebene Schlagtrio stellt auf unkonventionelle Weise sechs Kesselpauken einem Klavier gegenüber, dazu noch – nur mit einiger Übung bewusst wahrnehmbar – um einen Viertelton verstimmt. In der Reduktion liegt der Reiz: Zuerst kontrastiert das Klavier, von den höchsten und tiefsten Lagen ausgehend, später taucht es aus dem Inneren der Paukenklänge hervor.

Dietrich Heißenbüttel