Cerha, Friedrich
Konzert für Schlagzeug und Orchester / Impulse für Orchester
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 5
Schade nur, dass man dem Perkussionisten Grubinger bei dieser CD-Einspielung zwar zuhören darf, aber ihn nicht zugleich sehen kann. Wer Grubinger schon live erlebt hat, weiß, dass dessen Auftritte ein gleichermaßen akustisches wie optisches Phänomen sind: Die Hände und ihre einzelnen Gelenke sind bei Grubinger so durchtrainiert, dass demjenigen, der auf ihr wahnwitzig flinkes Spiel blickt, die Bilder zu verschwimmen beginnen.
Der Komponist Friedrich Cerha gibt freilich abschlägigen Bescheid, wenn behauptet wird, er habe, ein derartiges Live-Erlebnis vor Augen, sein Konzert für Schlagzeug und Orchester dem Auftraggeber Martin Grubinger gleichsam auf den Leib geschrieben. Er habe es vielmehr bewusst vermieden, sich von den Fähigkeiten des Interpreten bei seiner Komposition beeinflussen zu lassen. Cerhas äußerlich der traditionellen dreisätzigen Form folgendes Werk lässt Grubinger denn auch eigentlich nur im scherzoartigen Finale Raum zu tollem Wirbel auf Xylofon, Holzblöcken und Log-Drums; bis auf einige freiere kadenzielle Abschnitte bindet Cerha den Solisten sonst hauptsächlich in die sinfonische Gesamtanlage ein.
Immerhin: Grubinger darf das Konzert mit einem wahren Gewitter von Pauken- und Trommelklängen eröffnen und damit dem nervös wirkenden Anfangssatz sofort den richtigen Impuls verleihen. Doch liegt der Schwerpunkt der Komposition eindeutig auf dem zeitlich ausgedehnten langsamen Mittelsatz, der sich als geradezu in die Romantik zurückblickendes Nachtstück erweist. Besonders faszinierend ist es, wie Cerha in den unendlich weit ausschwingenden Schlusstakten mit minimalen Aktionen des Schlagzeugs über liegenden Orchesterfarben den Eindruck erweckt, als ob in der nächtlichen Stille des Waldes leise Geräusche vernehmbar würden: «ein Knacken von Zweigen, ein Rascheln im Laub, ein müder leiser Vogelruf
»
Gekoppelt ist Cerhas Konzert auf der vorliegenden CD mit einer Einspielung seiner 1992/93 entstandenen Impulse für Orchester, hier wiedergegeben in der Konzertaufnahme von 1996 aus dem Salzburger Großen Festspielhaus mit den Wiener Philharmonikern unter Pierre Boulez. Das im Auftrag dieses Orchesters entstandene Werk erweist sich beim Anhören als brillante Studie über die Verwendung der Farben der Orchesterpalette. Keiner konventionellen Form folgend, gestaltet der Komponist in seinen Impulsen Folgen unvermittelt wechselnder Seelenzustände. In schleichenden Klängen lauert und brütet die Musik, dann genießt sie Augenblicke ruhigen Bei-sich-Seins, bevor sie von nervösem Vorwärtstreiben erfasst wird und aus wildem Gewusel heraus wahre Kanonaden von Perkussionsklängen abfeuert. Mächtige Klangsäulen recken sich empor, bevor nach derartigen Anstrengungen Phasen der Erschöpfung eintreten. Bis zum musikalischen Expressionismus, ja bis zu Gustav Mahler blickt diese faszinierende Partitur zurück, wenn isolierte Klangchiffren bedeutungsvoll heraustreten oder wenn Cerha das für Mahler so typische «Gezogen» der Streicher zitiert.
Gerhard Dietel