Blomann, Ulrich J. (Hg.)

Kultur und Musik nach 1945

Ästhetik im Zeichen des Kalten Krieges

Verlag/Label: Pfau, Saarbrücken 2015, 374 Seiten, 35 Euro
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/05 , Seite 84
Auf einer Tagung der Gesellschaft für Musikforschung in Mannheim zum Thema Musikwissenschaft – Nachkriegskultur – Vergangenheitspolitik platzte Ulrich J. Blomann 2012 nach eigener Aussage der Kragen. Wie konnte man über Nachkriegskultur diskutieren, ohne den «Kalten Krieg» auch nur zu erwähnen? Blomann organisierte selbst einen Kongress, symbolträchtig im Hambacher Schloss, dessen Beiträge hier nun gedruckt vorliegen. 
Der Herausgeber schießt selbst den Vogel ab: Während Hanns Eisler wie zuvor schon sein Bruder Gerhart vor dem House Un-American Activities Committee verhört wurde, wollte Theodor W. Adorno ein gemeinsam mit Eisler geschriebenes Buch über Filmmusik nicht mehr unter seinem Namen veröffentlicht sehen und tilgte alles marxistische Vokabular aus seiner Dialektik der Aufklärung, um nur ja die geplante Neueröffnung des Instituts für So­zial­forschung in Frankfurt nicht zu gefährden. Die Schule der Kritischen Theorie als Bastion des Westens im Kalten Krieg? Über Blomanns These, Adorno habe in seiner Philosophie der Neuen Musik Strawinsky stellvertretend für den sozialistischen Realismus als Gegenpol zu Schönberg aufgebaut, lässt sich streiten. Aber Blomann hat die Abfolge der Ereignisse akribisch recherchiert. An seinen Ausführungen wird von nun an kein Weg mehr vorbei führen.
Nicht alle Beiträge haben dieselbe Brisanz. Aber der Band gewinnt zusätzlich dadurch, dass nicht wenige der Autoren, etwa (der im letzten Jahr verstorbene) Konrad Boehmer, Jürgen Schebera oder Frieder Reininghaus, zugleich als Zeitzeugen aus eigener Erfahrung berichten. Einigkeit besteht darüber, dass der «Kalte Krieg» vom amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman angezettelt wurde. Aber beide Seiten, Ost und West, verhätschelten auch ihre Komponisten. Wie Frank Schneider formuliert, gab es auch «durchlässige Zonen». 
Hans-Klaus Jungheinrich zeichnet ein sehr sensibles Porträt von Hans Werner Henze. Jin-Ah Kim beschreibt die Blockkonfrontation in Korea, seltsamerweise ohne den Fall Isang Yun anzuführen. Der Band dokumentiert auch die den Vorträgen folgenden Diskussionen, die freilich etwas stärker hätten redigiert werden können, und enthält Interviews von Gisela Nauck mit den Rednern. Was fehlt, sind kurze biografische Angaben zu den Autoren, die jedem, der nicht alle Namen kennt, die Orientierung erleichtert hätte: Schließlich kommt es bei einem Thema wie dem «Kalten Krieg» zweifellos auf den Standpunkt an, von dem aus man schreibt. Wer ein Fazit wünscht, mag von hinten, mit dem Gespräch mit Reininghaus anfangen, das unter dem treffenden Titel steht: «von hier aus werden hoffentlich Anregungen ausgehen».
Dietrich Heißenbüttel