Kagel, Mauricio
Luvre pour violoncelle
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5
Mauricio Kagel hat sich zwar zeitlebens mit großer Erfindungsgabe der klanglichen Erweiterung seines Instrumentalapparats gewidmet, dennoch hegte er eine besondere Beziehung zum Cello, einem Instrument, das er neben dem Klavier auch selbst spielte. Nach eigenem Bekunden war es vor allem die Nähe zur menschlichen Stimme im Umfang der Register, die Kagel faszinierte, was sich nicht zuletzt in der Konzeption der Motetten niederschlug.
Dieser Affinität schenkt vorliegende Produktion erstmals besondere Aufmerksamkeit und präsentiert Klassiker des «instrumentalen Theaters» ebenso wie Kompositionen aus den letzten Schaffensjahren. Dass Kagels theatralische Konzeptionen aus den 1960er und 1970er Jahren ohne den visuellen Faktor nur bedingt funktionieren, liegt auf der Hand, aber dennoch vermisst man in diesen wunderbaren Interpretationen auch akustisch beinahe nichts, so suggestiv und präzise wird hier die Musik auch ohne Bühnengeschehen sichtbar.
Dies zeigt sich bereits im legendären Match für drei Spieler (1964), wo Rohan de Saram, Christoph Roy (Violoncelli) und Jean Charles François (Perkussion) eine hochklassige Partie spielen und sich die Bälle gekonnt zuwerfen. Kagels hintersinnige Ironisierung des Virtuosentums und Konzertbetriebs schlechthin in Form eines absurden Wettstreits egozentrischer Aktionen und Reaktionen wird hier geradezu mit Händen greifbar.
Klar, dass in dieser Werkschau Siegfried Palm als Ikone des modernen Cello-Spiels allgegenwärtig ist. Christophe Roy spielt eine hinreißende Version von Siegfriedp (1971), wo in den virtuosen Flageolett-Arpeggien und schrägen Lautartikulationen die Mühsal der Interpretation in Klang gegossen wird. Trotzdem: bei Roy entfaltet diese Musik ihre eigenartige Schönheit in fast schwereloser Leichtigkeit. Auch Kagels Geschenk zum 60. Geburtstag des großen Cello-Virtuosen ist zu hören: For us: Happy birthday to you! für vier Violoncelli, Gelegenheitswerk zwar, aber doch ein Ständchen mit abgründigen Untertönen.
Wie intelligent, vielschichtig und einfallsreich Kagel auf unterschiedlichste musikalische Traditionen zugriff, manifestieren (teilweise in Bearbeitungen) nicht nur ältere Stücke wie General Bass für kontinuierliche Instrumentalklänge (1971/72) und Unguis incarnatus est für Klavier und
(1972), eine charismatische Hommage, die sich mit hörbarer Verneigung der zukunftsweisenden Reduktion und Düsternis des späten Liszt widmet. Neben den Magic Flutes (2004) in einer Version für zwölf Celli, wo expressive Gesten der Jahrhundertwende wie Irrlichter aufflackern, sind es vor allem die Motetten für acht Violoncelli (2004), die hier großen Eindruck machen. Sie zeigen Kagel auf der absoluten Höhe seiner Kunst subtiler Traditionsreflexionen. Im ständigen Wechsel der Klangbilder und Erzählperspektiven, die unzählige Anklänge und Spuren bereits vorhandener Werke (insbesondere der klassischen Moderne) enthalten, erweist sich das Ensemble NOMOS als brillanter Regisseur eines musikalischen Theaters von Musik über Musik.
Dirk Wieschollek