Liebermann, Rolf

La Forêt

Musikalische Komödie in 5 Akten, 2 CDs

Verlag/Label: Musiques Suisses MGB CD 6266
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/01 , Seite 84

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 4
Booklet: 3
Gesamtwertung: 4

Das wohl berühmteste Mitglied der Familie Liebermann war der impressionistische Maler Max Liebermann. Doch das Haus Liebermann war nicht nur in der Kunst aktiv, sondern prägte auch Entwicklungen in der Politik. Zur Familie gehörten unter anderem der Außenminister Walter Rathenau oder der Begründer der Weimarer Konstitution, Hugo Preuß.
Rolf Liebermann, der 1999 verstorben ist, soll eigentlich Jurist werden, eine musikalische Karriere ist ihm aus familiären Gründen zunächst verwehrt. Das Studium der Rechtswissenschaften schließt er verantwortungsvoll ab, widmet sich allerdings zeitgleich der Musik, der er sich bis zu seinem Lebensende verschreibt. Erste Kompositionen für Theater und Kabarett entstehen. Liebermann belegt einen Dirigierkurs bei Hermann Scher­­chen, wird sein Assistent, beginnt sich als Komponist und Musikkritiker durch­zuschlagen und arbeitet für einige Zeit als Tontechniker beim NDR. Schließlich nimmt er eine Position als Intendant bei der Hamburger Staatsoper an, führt das Haus zu internationalem Weltrang, erteilt viele Kompositionsaufträge, ist darum bemüht, zeitgenössisches Opernmaterial zu vertonen, entdeckt den Tenor Plácedo Domingo und lädt sogar Strawinsky an die Elbe ein. Seinen Mitarbeitern begegnet er ohne negative Allüren – Machtspiele sind dem Schweizer fremd. Die Zusammenarbeit mit ihm ist von einer tiefen Menschlichkeit gekennzeichnet.
In den 1980er Jahren, nach einer dreißigjährigen Kompositionspause, widmet er sich wieder dem Komponieren. In dieser Zeit entsteht die Oper La Forêt, die auf der dunklen Komödie Der Wald des russischen Dramatikers Alexander Nikolajewitsch Ostro­w­ski basiert, in der es um eine unglückliche Liebe zwischen einer reichen Witwe und einem jungen Gymnasiasten geht. Dass diese Affäre für viel Aufsehen sorgt, verwundert nicht. Um die Leute zum Schweigen zu bringen, arrangiert die Witwe eine Verlobung zwischen dem Schüler und ihrer Nichte, die wiederum in den Sohn des Holzhändlers verliebt ist. Eigentliche Hauptperson dieser konfusen Erzählung ist aber der Neffe der unglück­lichen Witwe, der wieder Ordnung in das Wuchern des Waldes bringt und am Ende des Stücks die moralischen Konventionen des Bürgertums herausfordert.
Diese komplizierten zwischenmenschlichen Konstellationen vertont Liebermann mit dem beschwingten Klangrepertoire der opera buffa. Dabei bleibt die Musik stets nachvollziehbar, die Stimmen der Sänger werden nicht behindert und stehen jederzeit klar und deutlich im Vordergrund. Das ist sicherlich dem überschaubaren Orchesterapparat geschuldet, der nicht mit unnötigem Ballast überladen wurde, sondern mit Streich- und Blas­instrumenten dem von Hélène Vida verfassten Libretto die passende Dramaturgie verleiht, mal sperrig und geheimnisvoll daherkommt, dann wieder verspielt und fröhlich dem szenischen Geschehen Rechnung trägt.
Liebermann soll einmal gesagt haben, dass die Realität des Komponierens etwas sehr machtvolles sei. La Fôret ist neben der Komposition Essai 81 sein Eintritt in ein bedeutsames und starkes Alterswerk.
Raphael Smarzoch