Blumenthaler, Volker
labili arti
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5
Volker Blumenthaler misstraut dem tradierten Werkbegriff, der von der Zuspitzung eines Konflikts ausgeht. Seine Stücke sind deshalb auch nicht Ausdruck philosophischer Gedankengebäude, sondern eher schon Erzählungen en miniature, die sich poetisch konzentriert wie ein Haiku der Betrachtung flüchtiger Momente widmen. Blumenthalers Stücke sind daher ziselierte, oft ätherische, irgendwie die Zeit vergessen machende Gebilde, die es in Ruhe und mit hochsensiblem Ohr zu betrachten gilt. Denn ohne Stille ist die Musik des Volker Blumenthaler in ihrer Existenz gefährdet.
Jede der hier versammelten zehn Musiken, entstanden von 1983 bis 2004, weist diese Besonderheit, diese unnachgiebig von ihrem Erfinder verteidigte Eigenart auf abzulesen, zu erahnen schon in den mit Worten zart tastenden Überschriften. Am Beginn steht labili arti (2001) für Blockflöten und Akkordeon. Das knapp sechs Minuten dauernde Stück ließe sich auch als die Quintessenz von Blumenthalers musikalischem Denken bezeichnen. Denn in labili arti hat er mit unendlicher Geduld feinste Klangfarbenpartikel aneinander gesetzt, ein zart irisierendes Tongebilde geschaffen, das kaum vollendet schon wieder in Blumenthalers sorgfältig kultiviertem musikalischen Urgrund verschwindet: der Stille.
Gemessen daran ist colori di dissidio für Akkordeon (2001) ein dramatisches, schon fast Energie strotzendes Stück, in dem Blumenthaler ein wenig in Webernscher Manier ein Terzenmotiv unter das musikalische Mikroskop legt, Einzeltöne ornamental umspielen lässt, als wolle er eine barocke Koloratur imitieren. An anderer Stelle des Stücks fächert der Komponist eine Phalanx von Spiegelakkorden auf, lässt sie dann wieder auf das Format einer sanft vibrierenden melodischen Linie zusammenschnurren. Hier wie auch sonst passt das Wort «Komposition» nur mit Mühe, aber eigentlich gar nicht. Denn selbst wenn Blumenthaler wie in den colori di dissidio mit Elementarteilchen zurückliegender Epochen hantiert, betätigt er sich niemals als Konstrukteur. Seine Musiken, vor allem jene wie
che sta così für die koreanische Kayagum oder Mao-bi für die chinesische Erhu, sind das Werk eines kalligrafisch denkenden Musikers, dem es gleichermaßen um die absolute ästhetische Perfektion von Linien geht wie um das Sichtbar-machen der darin geborgenen Emotionen.
che sta così ist äußerlich betrachtet ein meditatives Stück Musik, in dem ohne Unterlass zeichenhafte Klänge gesetzt werden, denen es nachzuhören gilt. Andererseits ist es ein Stück Musik, das die natürliche Rhetorik des Instruments aufnimmt, dessen melodisches Gebaren, dessen taktile Eigenheiten. Ähnlich im Gestus sind die drei Klangminiaturen Mao-bi angelegt, in denen mit wenigen Tönen auf der Erhu über die Schreibtechnik chinesischer Kalligrafen sinniert wird, in denen wie auch sonst in Blumenthalers Musik die flüchtige Schönheit einer Bewegung gefeiert wird.
Annette Eckerle