Goldmann, Friedrich

Late Works

Haiku à 6 / Ensemblekonzert 3 / Sisyphos zu zweit / Wege Gewirr Ausblick

Verlag/Label: Macro MACROM24CD
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/04 , Seite 96

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 1
Gesamtwertung: 3

Diese CD mit «späten Werken» von Friedrich Goldmann (1941-2009) steckt lediglich in einer Papphülle und enthält nur einen kurzen englischen Text über den Komponisten. Grund: Das englische Magazin The Wire hat für seine Abonnenten diese Aufnahme beigelegt, immerhin in einer Auflage von 10000 Stück. Werkkommentare gibt es keine, nicht einmal Dauernangaben. Wir liefern sie hier nach: 4’24’’, 23’36’’, 10’51’’, 17’17’’. Wer eine CD nicht als verderbliches Konsumobjekt, sondern als Kulturgut betrachtet, für den ist diese editorische Ausstattung mangelhaft. Umso höher ist der Repertoirewert, denn Goldmann, die vielleicht wichtigste Figur unter den jenseits des «Sozialistischen Realismus» sich bewegenden, unabhängigen Komponisten der ehemaligen DDR, fiel nach der «Wende» unbegreiflicherweise in ein tiefes Loch und wurde im alten Westdeutschland kaum noch rezipiert, nicht einmal in Donaueschingen. Sein Tod mit erst 68 Jahren ist ein beklagenswerter Verlust.
Goldmanns unbeirrbares Festhalten sowohl an Avantgarde-Positionen wie auch an produktivem Traditionsverständnis paarte sich stets mit einem ironischen Reflex über Neoroman­tiker und Postmoderne, wenn auch Letzteres eher verbal als kompositorisch. Diese wohlausgewogene Balance zwischen Tradition und Fortschritt zeichnet auch die Werke dieser Einspielung aus, teilweise Mitschnitte der Uraufführungen, vor allem das Ensemblekonzert 3 über die Fundamentalnoten des Arioso «Golgatha, un­sel’ges Golgatha» aus J. S. Bachs Matthäuspassion bietet ein klanglich wie strukturell vielschichtiges Beispiel für Goldmanns kunstvollen Stil.
Haiku à 6 ist eine ruhige Gedenkmusik «in memoriam Georgi Tutev» in reizvoller kammermusika­lischer Besetzung, Sisyphos zu zweit zeigt tatsächlich ein «vergebliches» Abarbeiten an schematisierten Tonfolgen. Der naturnahe Titel des letzten Werks Wege Gewirr Ausblick, ein Auftrag der Dresdner Hochschule, legt ein fast programmmusikalisches Verständnis nahe. Darin zeigt sich aber auch die Erfindungskraft Goldmanns zwischen abstrakter «Sinfonie» und klingender Bildkraft, und auch sein Metier im Umgang mit dem Orchester ist beeindruckend, ohne dass es jemals konventionell wirken würde.
Late Works – späte Werke. Wer Friedrich Goldmann kannte, dürfte bei diesem Titel schmunzeln. Denn altersweise Abgeklärtheit war nie sein Ding, dazu wären ihm eher sarkastische Bemerkungen eingefallen, und manchmal kann man ein ironisches Lächeln aus seiner Musik heraushören …
Hartmut Lück