Haddad, Saed

Le Contredésir / Les Deux Visages de l’Orient / Études mystéri­euses / The Sublime / On Love I / On Love II

Verlag/Label: Wergo «Edition Zeitgenössische Musik» des Deutschen Musikrats, WER 65782
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/01 , Seite 89

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 3
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

Während bei allen Komponisten in der Regel das Werkverzeichnis beständig zunimmt, verliert es bei Saed Haddad ebenso zuverlässig an Umfang. Dieser selbstkritische, zwischen westlicher und arabischer Kultur (er kam 1972 in Jordanien zur Welt) nicht pendelnde, sondern eingebundene Komponist beginnt sein aktuelles Werkverzeichnis mit dem Jahr 2004; aufgelistet sind zwei Stücke: L’Éthique de la Lumière und das auf der CD enthaltene Le Contredésir (2004). Das vom Ensemble Modern 2005 in Paris uraufgeführte Stück in der ungewöhnlichen Besetzung Klarinette, Horn und Violoncello orientiert sich stark an der Einschätzung des Komponisten, die Welt, in der Musik sich bewegt und entwickelt, sei heuchlerisch, unwahr und von politischen Interessen geleitet. Konsequent verfolgt Had­dad eine über den West-östlichen Diwan hinausgehende Verknüpfung der doch so unterschiedlichen musikalischen Prämissen und Klangeigenschaften, ohne der jeweils anderen Musiksprache Gewalt anzutun.
Gleiches gilt für die anderen zwischen 2005 und 2006 geschriebenen Werke On Love I, On Love II und Les Deux Visages de l’Orient. Had­dad ist es tatsächlich gelungen, die selbstgewählte Vermeidungsstrategie durchzuhalten, nämlich westliche und arabische Musik zu synthetisieren, ohne dadurch ein komplett anderes Klangbild zu schaffen.
Im Alter von zehn Jahren begann Haddad mit dem Klavierstudium. In den sieben kurzen Übungseinheiten der Études mystérieuses (2007) beschreibt er mit unterschiedlicher Technik und in ein Schichtensystem eingebettet die Evolutionsmöglichkeiten profaner Gedankensätze. Oft in einem überraschenden Schluss endend, hastet oder schreitet die Musik in wertfreier Beschaffenheit bis zu ihrer radikalen Auflösung. Die Namen der kurzen Klangszenen spiegeln den Kontext – ob Schwerkraft («gravity»), Abgrund («chasm») oder Kontraste («contrasts»).
Das Erhabene existiert bei Saed Haddad natürlich auch. The Sublime (2007) beginnt als mäßig strömender Klangfluss, mäandert jedoch schnell in vielschichtige Instrumentengruppen mit entsprechend dynamischer Kraft und freiheitlicher Dissonanz. Haddad konstruierte ein Stück voller Widersprüche und Sprünge – es folgt keiner Regie, sondern schöpft aus dem Ideenfundus des Komponisten seine Nahrung. Die Bläser kümmern sich nicht um vorhandene Sanftheiten, die Streicher erforschen die gerade noch hörbaren pianissimo quanto possibile-Passagen. Dem Hörer bleibt nichts anderes übrig, als sich in den Klangfeldern dieser sehr differenziert geschichteten Musik häuslich, sprich: im Kokon hörend, einzurichten – was sowohl für The Sublime als auch für die anderen fünf Stücke gilt.
Klaus Hübner