Live

Werke von Rudolf Kelterborn, Pál Károlyi, Jörg Widmann, Zoltán Jeney, Bánk Sáry und László Sáry

Verlag/Label: Telos 095
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/06 , Seite 90

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 4
Booklet: 5
Gesamtwertung: 4

Gerade im 20. (und 21.) Jahrhundert üb(t)en ungarische Tonkünstler großen Einfluss auf die zeitgenössische Musik aus – von Bartók über Ligeti und Kurtág bis zu Peter Eötvös. Die Interpreten stehen dem kaum nach, man denke nur an Eötvös als Dirigenten oder das Keller Quartett. Mit brillanten Konzerten und Aufnahmen überzeugen indes auch Musiker, die (noch) nicht zur allerersten Garde zählen. Der Klarinettist Lajos Rozmán (*1970) und der Pianist Martin Tchiba (*1982) zeigen ihr Können im Duo und als Solisten in Live-Mitschnitten, die sie zu einem abwechslungsreichen Programm mit Werken deutscher und ungarischer Komponisten zusammenstellten. Beide stammen zwar aus Ungarn, Tchiba lebt aber seit 1985 in Deutschland. Ihre interpretatorischen Ansätze empfinden sie in produktiver Weise als gegensätzlich – ohne das Kli­schee von einer mehr sinnlich-emotionalen «ungarischen» Auffassung gegenüber einer eher analytisch-kristallinen «deutschen» Herangehensweise überzustrapazieren.
Eröffnet wird die CD mit den bereits 1970 entstandenen Vier Stücken für Klarinette und Klavier von Rudolf Kelterborn, der die konventionelle Konstellation von Melodie­instrument und Begleitung gegen den Strich bürstete. Sensibel beschreiten die Klangcharaktere ihre Wege, die über flaumig-weiche Kantilenen und schneidende Spitzentöne führen. Auch Jörg Widmanns Bruchstücken gewinnen Roz­mán und Tchiba mit pointiertem Zugriff das ganze Ausdrucksspekt­rum von latenten Abgründen über musikantische Eskapaden und augenzwinkernde Untertöne bis zum Eintauchen ins Elementare, dem dunklen Luftgeräusch, ab.
Wie feinsinnige Interludien und Instrumentalstudien muten dagegen die Stücke der Ungarn Pál Károlyi (*1934), Zoltán Jeney (*1943) und Bánk Sáry (*1973) an – wobei Károlyis einsätzige meditazione per clarinetto e pianoforte (1967), die das Geschehen von Geburt, Leben und Verscheiden in Klang abstrahiert, herausragt. Breiten Raum erhielt die Musik von László Sáry (*1940), der Rozmán und Tchiba eng verbunden ist. Er wurde mit einem kleinen Porträt bedacht, das sich von drei Miniaturen aus den Übungen zum kreativen Musizieren (1999-2007) über Kreise für Klavier solo (2006) bis zu den Durchhörungen (2007) erstreckt, die – wie der Titel subtil andeutet – vom reizvollen Spannungsverhältnis zwischen strukturellen Tiefendimensionen und Neigung zu verspielter Klanglichkeit geprägt sind.
Den Interpreten kommt genau das sehr entgegen, und die Detailverliebtheit und konstruktive Durchdringung, mit der sie zu Werke gehen, ist den Resultaten in jedem Moment abzulauschen. Gelungen ist auch Martin Tchibas Booklet-Text, der neben einer Fülle analytischer und spieltechnischer Anmerkungen die mehrjährige Zusammenarbeit (seit Au­gust 2006) der beiden Musiker dokumentiert.

Egbert Hiller