Loplop’s Call

Verlag/Label: NEMU Records, NEMU 013
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/04 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 2

«Loplop» – so nannte der Surrealist Max Ernst (1891–1976) ein vogelartiges Wesen, das seit Ende der 1920er Jahre durch seine Bilder geisterte und das er als sein Alter Ego begriff oder zumindest mit einem Teilaspekt seiner Persönlichkeit identifizierte. So geriet Loplop auch zum Synonym für die schillernde, zwischen kind­licher Neugier und intellektueller Durchdringung schwebende Komplexität des Künstlers, der meinte, sein vielleicht größtes Verdienst wäre gewesen, dass es ihm geglückt sei, sich nie gefunden zu haben.
Im übertragenen Sinne gilt das auch für Albrecht Maurer (Streichinstrumente) und Norbert Rodenkirchen (Flöten): zwei Paradiesvögel, die seit vielen Jahren die Szenen der Alten, Neuen und Improvisierten Musik aufmischen und mit spannenden Projekten immer wieder Genre­grenzen sprengen. Ihr neues Duo-Programm Loplop’s Call charakterisieren sie als «Musikalische Skizzen über Max Ernst»; um tönende Bildbeschreibungen ging es ihnen aber nicht. Ernsts Collagen und Frottagen markieren eher die Initialzündung für klingende Reflexionen über Lop­lop, der den roten Faden in der Aneinanderreihung der Eigenkompositionen bildet.
Das einleitende Loplops’s Call stellt ihn als bezauberndes Fantasiewesen vor, während das folgende Whatever met my ear gekonnt mit verschiedenen Stilen, Folklore-Allusionen und Klischees aus der Alten Musik eingeschlossen, spielt – als sei Loplop, das lyrische Subjekt, selbst erstaunt, was ihm auf seinen Streifzügen durch die Welt (der Musik) so alles ans Ohr dringt. Im Orient angekommen ist Loplop in Zeynebim, einem traditionellen türkischen Volkslied, das Maurer und Rodenkirchen einer sensiblen und klangschönen Bearbeitung unterzogen haben. Nach diesen Reiseerlebnissen zieht sich Loplop – in Loplop’s Mind – sehr subtil in seelische Innenräume zurück, bevor die spröde Windsbraut um ihn zu werben scheint. Ob Loplop angesichts dieser Herausforderung erschrak, sei dahingestellt. Jedenfalls umgibt er – in Wall ums Rot – sein brennendes Herz mit ei­nem abweisenden Schutzwall. Im An­schluss zeugt das ausgedehnte Kachinas von einer Verwirrung der Sinne, die Loplop zur Rückkehr ins heimische Nest (Loplop’s Home) motiviert. Hier sammelt er neue Kräfte, das Vergessen (Pour Oublier) gelingt aber nur bedingt. Sehnsucht bricht sich Bahn, doch deren Flammen züngeln in Help­­less Flames vergebens. Loplop flüchtet sich in die Sphäre des Traums; erst das Auftauchen der – traumschwangeren – Peggy führt zu nachdenklicher und ganz und gar unprätentiöser Abrundung.
Ob die zwölf Stücke so oder in anderen (losen) Zusammenhängen als fortlaufende Geschichte konzipiert sind, ist nicht verbrieft. Im Booklet ist darüber nichts und auch sonst nicht viel zu erfahren. Dem Projekt Loplop’s Call kann das indes kaum schaden. Maurer und Rodenkirchen vereinen darin bizarre musikalische Fantasie mit Tiefgang und Virtuosität mit betörender Klangsinnlichkeit.

Egbert Hiller