Shim, Kunsu

LOVE

Verlag/Label: Senufo Editions #38
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/06 , Seite 92

Musikalische Wertung: 3
Technische Wertung: 5
Booklet: 3

Vier sonore Trommelschläge. Dann fünf, etwas höher und schneller. Nochmal fünf, diesmal tief und gedämpft. Dann fünfzehn, ganz schnell. Die Schläge ertönen jedesmal ganz gleichmäßig, wenn auch in verschiedenen Tempi und Tonhöhen: völlig ausdruckslos, leer. Dazwischen lange Pausen. Es klingt nicht nach Musik, eher wie wenn jemand einen Nagel in die Wand haut. Aber es scheint sich eindeutig um Trommeln zu handeln. Mal hart am Rand angeschlagen, mal eher in der Mitte. Mal mit den Fingernägeln oder mit den Knöcheln. Oder vielleicht mit verschiedenen Stöcken, möglicherweise mit einem Papier oder einer Folie dazwischen. Dies alles lässt sich nicht feststellen, nur hören. Es klingt so als ob. Es ist kein System erkennbar. Kei­ne Regelmäßigkeit. Außer dass die Schläge jedes Mal ganz gleichmäßig kommen, ohne Crescendo, ohne De­crescendo, ohne Accelerando, ohne Ritardando.
Nie überschneiden sich zwei Schlagfolgen. Nur an manchen Stellen erklingt gleichzeitig ein monotones Geräusch, wie wenn jemand mit dem Griffende eines Schlagzeugstocks über einen Gong oder eine Klangschale fährt: zwischen Geräusch und – manchmal schrillem – Ton, irgendwie metallisch. An sich ebenfalls ganz gleichmäßig, aber mit gewissen Schwankungen, wie sie von unvermeidlichen Unregelmäßigkeiten in der Oberfläche des klingenden Objekts oder der Bewegung des Ausführenden herrühren. Bis auf diese Klangflächen, die vielleicht fünf bis zehn Mal auftauchen, lässt sich keine Entwicklung feststellen. Nichts führt auf ein Ziel hin. Nichts lässt erkennen oder erraten, dass dieses Hör-Schauspiel nach exakt einer Stunde abbricht, es sei denn die unbestechliche Systematik der Uhrzeit. Es lässt sich auch nicht heraushören, ob Kun­su Shims Stück rigide durchkomponiert ist oder ob die zwei Schlagzeuger lediglich allgemeinen Angaben des Komponisten folgen. Dass es zwei sind, ist auf der Rückseite der CD-Hülle angegeben, hören kann man es nicht. Fast scheint sich die Frage zu stellen, ob Musik hier überhaupt der angebrachte Begriff ist – manch einer wird es bezweifeln. Vielleicht sollte man von einem Stück Konzeptkunst sprechen, die in 280 nummerierten Exemplaren gedruckte CD-Hülle mit einem poetischen Text in schlechtem Englisch auf einer einliegenden Postkarte mit einem Foto von Haein Ku inbegriffen: ein Steg, der sich in einen See hinein ins Ungefähre verjüngt, am Ende zwei winzige Punkte, vielleicht Menschen, kaum angedeutet eine Horizontlinie. Auf der Karte mit dem Text ist dieses Bild in hellen Sommerfarben zu sehen. Auf der Hülle selbst in Schwarzweiß sieht es aus wie eine Graphitzeichnung, eine Szenerie im Scheinwerferlicht, die langsam im Nebel verschwimmt.

Dietrich Heißenbüttel