Mucken, Heinrich
Made in China
30 Jahre Künstlergruppe «Heinrich Mucken»
Musikalische Wertung: 3
Technische Wertung: 5
Booklet: 3
«Made in China»: ein Qualitätsmerkmal, das immer tiefer in die westliche Konsumgüterwelt eindringt. Dieter Schlensog, dem kreativem Kopf des Labels für experimentelle Soundproduktionen NurNichtNur im niederrheinischen Kleve, ist nun ein Brückenschlag vom heutigen Großkonkurrenten westlicher Industrienationen im Fernen Osten zu einem Klangkörper gelungen, der vor dreißig Jahren ohne Gedanken an chinesische Warenproduktionen seine klangexperimentellen Projekte von Ostwestfalen und vom Niederrhein aus in die akustische Welt schickte.
«Ich zähl gleich bis vier, dann kommt eine kurze Pause, dann fangen die vier Minuten an», ist eine männliche Stimme zu Beginn der CD zu hören, die als einzige akustische Studioproduktion (1988) der Künstlergruppe Heinrich Mucken einen etwa viereinhalbminütigen Klangbrei, eine unstrukturierte Montage aus Sprache, Geräuschen, O-Ton-Einspielungen und musikalischen Fragmenten, dokumentiert. «Dasiset» («Das ist es» oder «Da ist es») wiederholt eine Stimme, so lange, bis das gesamte Konstrukt plötzlich abbricht und nach kurzer Pause ein versöhnlich wirkender Ton eine weitere kakophonische Welle auf den Weg geleitet. Über die künstlerische Qualität des Tondokuments mag man die Nase rümpfen; wahrscheinlich war die «Spielerei» im Studio eine einzige Gaudi ohne tiefenpsychologischen Hintersinn. Die Produktion dieses unverbindlichen Klangkonstrukts formuliert jedoch in ihrer konsequenten Negation musikalischer Interpretationskategorien erneut den grundsätzlichen Gedanken von Heinrich Mucken, situations- und milieubezogene Aktionen mit allem, was klingt, darzubieten. Die CD Mercy Valley Knights (NurNichtNur Berslton 1070701) von 2007 enthält Passagen aus Dasiset.
Das Besondere dieses Tondokuments sind jedoch Idee, Design und Ausführung des Tonträgers und der ihn tragenden Verpackung, die an einer Schmalseite nur den Schriftzug «Made in China» zeigt und nichts von ihrem Inhalt offenbart. Nach dem Öffnen der kleinen, flachen Schachtel liegt ein 8 mal 12 cm kleiner, funktionsfähiger, transparenter Solarrechner in der Hand. Auf der Rückseite des Rechners befindet sich in einer angeklebten Kunststofffolie eine scheckkartengroße rechteckige Audio-CD, deren vier Ecken abgerundet sind und die ein unscharfes Foto einiger in schwarze Anzüge gekleideter Heinrich-Mucken-Orchestermusiker (u. a. Dieter Schlensog, Clemens Drissen, Karl van Betteraey) zeigt. Auf der Vorderseite des Rechners steht unter der Webadresse www.mucken.de: «you better count on us». Unter dieser Parole agierte das ursprünglich «Das Heinrich-Mucken-Saalorchester» genannte Ensemble in der Frühphase seiner Existenz.
Klaus Hübner