Crumb, George

Makrokosmos I-II

Verlag/Label: SIMAX Classics SC 1263
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/04 , Seite 87

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5

Zwei Dinge sind es, die bei dieser Neuaufnahme von George Crumbs zweiteiligem Klavierzyklus Makrokosmos (1972/73) sofort auffallen: dass nämlich die Norwegerin Ellen Ugelvik eine ganz außerordentliche Pianistin ist und dass die Musik, obgleich schon häufiger eingespielt, bislang noch nie in solch klanglicher Präsenz und überzeugender Realisierung zu hören gewesen ist. Tatsächlich hängen beide Aspekte eng miteinander zusammen: Die Klangqualität der SACD-Produktion ist phänomenal, so dass man sich als Hörer in den Klang hineinversetzt fühlt und ihn – etwa beim immer wieder auftretenden Kontrast zwischen dem Spiel auf den Tasten und im Klavierinnenraum, beim re­petitiven Zupfen auf einer einzigen Klaviersaite, bei der Entfaltung unterschiedlicher Flageolett-Klangfarben oder bei der Gestaltung filigraner Figur-Hintergrund-Beziehungen – im Sinne räumlicher Differenzierungen und Bewegungen wahrnimmt. Dadurch wird man aber zugleich auch auf all jene besonders feinen Nuancen aufmerksam, die Ugelvik den Crumb’­schen Stücken bei der Wiedergabe angedeihen lässt.
Faszinierend ist vor allem die Konsequenz, mit der die Pianistin die Anweisungen des Komponisten befolgt: So verleiht sie der Musik an einigen Stellen eine in höchstem Maße poetische Note, indem sie die Klänge förmlich aus dem Instrument herausstreichelt sowie mit beharrlicher, aber doch zarter Intensität zupfend, reibend oder klopfend die Möglichkeiten des Klavierinnern ertastet; demgegenüber gestaltet sie, ihre differenzierte Anschlagskultur optimal einsetzend, andere Passagen mit skulpturhafter Wucht und stimmt schließlich klangliche Kontrapunkte zum Klavierspiel an, indem sie unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten ihrer Stimme (hier von der bei Crumb notierten tiefen Männerstimmlage in ein höheres Register transponiert) einsetzt oder die vom Komponisten akribisch notierte Pfeiftöne präzise anstimmt.
Dass die Pianistin zudem darauf bedacht ist, übergreifende Zusam­men­hänge zwischen den Kompositionen herzustellen, ist ein weiterer Pluspunkt der Einspielung: Die innerhalb der beiden Makrokosmos-Teile jeweils zu Viererblöcken angeordneten Einzelstücke gehen nahtlos ineinander über und werden dadurch im Sinne eines klanglichen Entwicklungsverlaufs interpretiert, bei dem nacheinander unterschiedliche, aufeinander verweisende Klanggebungsmöglichkeiten zur Entfaltung kommen. Dies verleiht Ugelviks Interpretation nicht nur ein außerordentlich hohes Maß an Geschlossenheit, sondern unterstützt auch ihre Bemühungen, jene oftmals eklektizistischen Einfälle des Komponisten, die in den einschlägigen Rea­lisierungen durch andere Pianisten schon mal die Grenzen hin zum Kitsch zu überschreiten drohen, besser in das Gesamtgeschehen einzubinden. Das Ergebnis ist eine fesselnde Darstellung, die dem Hörer verdeutlicht, wa­rum der Makrokosmos zu den bedeutendsten zyklischen Klavierwerken aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezählt werden muss.

Stefan Drees