Kostakeva, Maria
Metamorphose und Eruption
Annäherung an die Klangwelten Adriana Hölszkys
Adriana Hölszkys Musik entzieht sich nicht trotz, sondern wegen ihres hohen Organisationsgrades recht schnell dem rein analytischen Zugriff. Hierin unterscheidet sich die Musik Hölszkys zunächst einmal nicht von der vieler anderer Komponisten. Denn die pure Beschreibung der kompositorischen Mechanik mag dem Erlernen des Handwerks dienlich sein, auch der Spezifizierung epochaler Stilmerkmale, am Wesentlichen einer Musik muss eine solche Methode mit Macht vorbeischrammen. Die Musikwissenschaftlerin Maria Kostakeva versuchte nun mit der vorliegenden Hölszky-Monografie der ersten Publikation dieser Art über die Arbeit der mittlerweile sechzigjährigen Komponistin dieses Paradoxon aufzulösen. Dass sie dies in dem Bewusstsein tat, es eigentlich mit einer Aporie zu tun zu haben, hat die Autorin im Titel zum Ausdruck gebracht. Von einer «Annäherung» ist die Rede. Im Lauf der Lektüre versteht man, dass in diesem Titel gleichermaßen der Respekt vor der künstlerischen Lebensleistung Adriana Hölszkys formuliert wird wie auch die Zweifel der Autorin, dieses komplexe uvre in all seinen Verästelungen adäquat ausleuchten zu können.
Ihrer Einleitung hat Kostakeva eine Sentenz der Komponistin vorangestellt, die nichts weniger als die ästhetische Essenz von deren Arbeit ist: «Ich gehe ins Wasser und habe kein Prinzip, wie ich darin schwimmen werde, und weiß auch nicht, auf welche Steine ich dort stoßen werde.» In diesen musikalischen Wassern der Adriana Hölszky versucht Kostakeva Pflöcke in den Untergrund zu rammen, wenigstens Bojen zur Orientierung zu setzen, indem sie von der Warte einer Betrachterin aus, die den Werkkatalog Hölszkys kennt, «der anarchischen Lust am Extremen» Hölszkys mit dem Bau eines philosophischen Untergrunds zu begegnen sucht.
Kostakeva mutet dem Leser dabei einen scharfen Galopp durch die europäische Geistesgeschichte zu, ausgehend von der Behauptung, die Beziehung von Spiritualität und Kunst werde heute immer aktueller und habe ihren philosophisch-systematischen Ursprung bei Hegels Idee von der Vielheit, zusammengesetzt aus subkutan miteinander verflochtenen Einheiten. Danach landet man in der Lesart Kostakevas gleich bei Henri Bergsons Idee des «élan vital», von wo aus es ja scheinbar nur noch ein kleiner Schritt zur Rhizom-Theorie von Deleuze ist, die wiederum als Parallele zur neuen Definition des Theatralischen, deren zentrales Movens die Gestik ist, herangezogen wird, individuell ausgeprägt in Hölszkys Musik. Diesen philosophisch-ästhetischen Aufwand betreibt die Autorin grundsätzlich, um bei der Komponistin die jeweils individuelle Entsprechung zu finden, so als gelte es, einen wissenschaftlichen Beweis zu finden für eine Verortung von Hölszkys Arbeit. Paradoxerweise entsteht so das Bild einer Komponistin, die notwendige Zeiterscheinung zu sein scheint statt eine singuläre Erscheinung, die zu beschreiben Kostakeva angetreten ist.
Doch lässt man die von Kostakeva behauptete ästhetische Positionierung von Hölszkys Arbeit beiseite, liest man die am Ende stehenden Gespräche mit der Komponistin am Beginn, dreht also die Arbeitsweise Kostakevas nochmals um, dann liest sich diese Monografie mit Gewinn, schon des umfangreichen Materials wegen, das von Kostakeva zum Glück nicht in schnöder Chronologie abgearbeitet, sondern in thematische Bereiche unterteilt wurde. Hilfreich dabei die repräsentative Zusammenstellung der Notenbeispiele sowie das umfangreiche Literaturverzeichnis.
Annette Eckerle