Fanning, David
Mieczyslaw Weinberg
Auf der Suche nach Freiheit
Da sich derzeit einige größere Festivals seiner Musik widmen und Julia Rebecca Adler, Solobratscherin der Münchner Philharmoniker, kürzlich seine Sonaten für Viola solo überaus gewinnend einspielte (NEOS Music 11008/09), bleibt zu hoffen, dass sich der Name Mieczyslaw Weinberg allmählich herumspricht. Wozu auch die erste Weinberg-Monografie beitragen sollte, die der Verlag Wolke eben in deutscher Übersetzung herausbrachte. Verfasser ist der englische Musikforscher David Fanning, den seine Schriften über Carl Nielsen und Schostakowitsch bekannt machten. Er bürgt für flüssigen Schreibstil und eine übersichtliche Stoffgliederung. Entdeckerische Leidenschaft durchpulst seine Zeilen.
Während das Buch anfangs den kriegsbedingten Ortswechseln des Komponisten folgt, sind die Kapiteleinteilungen seiner Moskauer Lebensjahre eher schaffensbiografisch bedingt («Musik für das Volk und die Völker», «Die Haft und ihre Nachwirkungen», «Aufschwung», «Anerkennung und Produktivität», «Rückzug in die Kunst»). Im Schlusskapitel wagt der Autor eine vorsichtig optimistische Prognose hinsichtlich der Zukunftschancen von Weinbergs Musik.
Indem er seine «Lebenserzählung» durchgängig mit Selbstzeugnissen des Komponisten, Äußerungen von Zeitzeugen, Freunden und Kennern Weinbergs, offiziellen Verlautbarungen und Fotos samt Haftentlassungsschein untermauert und veranschaulicht, nähert sich sein Buch dem Typus der kritischen Dokumentarbiografie. Kritisch insofern, als sich Fanning in Zweifelsfällen nicht auf eine Quelle verlässt. So zieht er mehrfach den polnischen Komponisten Krzysztof Meyer zu Rate, der ebenso wie Weinberg zum Freundeskreis von Dmitri Schostakowitsch gehörte. Was auch für Einschätzungen gilt, die Weinbergs Charakter und Wesensart betreffen.
Im Kriegsjahr 1943 hatte Schostakowitsch dem polnischen Emigranten die Übersiedlung nach Moskau ermöglicht, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Die Fürsprache, die ihm dieser erwies, und beider Freundschaft gaben Weinberg Überlebenskraft und künstlerisches Richtmaß. Doch hielt sich der Jüngere unabhängig von den Tonfällen seines «Lehrers» wie den Strömungen der westlichen Moderne. Ähnlich Schostakowitsch hinterließ Weinberg, der 1996 in Moskau starb, ein Konvolut von Symphonien und Streichquartetten (26 bzw. 17). Die Oper Die Passagierin, die ein Auschwitz-Sujet behandelt, hält Fanning für sein bedeutendstes Werk. Wie dem auch sei: Ohren auf für Weinberg!
Lutz Lesle