Kosk, Patrick

Mondweiß

Verlag/Label: Edition RZ, ed. RZ 3005
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/05 , Seite 90

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4

Will man die Musik von Patrick Kosk erfassen, muss man sein inneres Auge aktivieren. Vor diesem inneren Auge sollten kubistische Gemälde präsent sein, sollten die radikal abstrakt-expressionistischen Bildwelten eines Jack­son Pollock defilieren. In dem inneren Auge sollten auch hochempfindliche Sensoren aktiv sein, um die akustische Übersetzung dieser Bildwelten in all ihren Formen abtasten zu können, um die glatten wie die rauen Klangoberflächen genießen zu können.
Denn man muss es ertragen können, dass Patrick Kosk keine sorgsam ausgezirkelten Klangskulpturen herstellt. Kosk ist mehr Finder denn Erfinder. Der Boden unter den Füßen des finnischen Klangkünstlers ist die Musique concrète. Dennoch, so paradox das scheinen mag, entziehen sich seine Klanglandschaften der konkreten Beschreibung. Sie ähneln eher fantastischen Klangmobiles, in denen sich Form beständig bewegend verändert. Kosk selbst spricht von «visuellen Abstraktionen», die in seiner Musik dargestellt werden.
Der Begriff der Interpretation, gar im strengen Sinn gebraucht, ist auf die Arbeit von Kosk nicht anwendbar. Kosk montiert und kombiniert gefundene Klangmaterialien meist selbst in seinem Studio. Auf diese Art und Weise verfügt er über eine künstlerische Autonomie, wie sie gemeinhin nur Schriftsteller oder eben Maler und Bildhauer haben. Wenn Kosk einsam in seinem Studio seine Klangwelten produziert, imaginiert er keinen Hö­rer. Seine Arbeit ist gewissermaßen als Einspruch gedacht gegen die allgegenwärtige Forderung nach Verwendbarkeit. Seine Klangwelten sollen einfach nur für sich stehen, sinnfrei, als im besten Sinne nutzlos. Was Kosk dennoch sucht, ist die Welt auf akustischem Weg als geometrische und damit räumliche Anlage erfahrbar machen.
Die vorliegende CD, auf der sich Klangwerke aus den Jahren 1981 bis 2008 befinden, lässt sich daher auch als eine Art musikalische Biografie von Kosk verstehen. Bei der akustischen Lektüre dieser Biografie wird man erfahren, dass Kosk verschiedene Strömungen vorbehaltlos zusammenführt, eben die der Musique concrète, der französischen Akusmatik, der elek­tronischen Musik, wie sie sich in Deutschland entwickelt hat, den so genannten «Mailand-Sound» und experimentelle Ansätze amerikanischer Komponisten.
In dem Stück Mondweiß (2007-2008) beispielsweise schießen alle ästhetischen Elemente von Patrick Kosk zusammen. Eine alte Holzbürste wird über eine Holzwand geschrabbt, mit Kohlebrocken an einem Fenster entlang gekratzt. Ort der Klangaktion ist ein altes, verlassenes Haus. Die leeren Räume reflektieren die ungewöhnliche, musikalisch intendierte Behandlung. Ein «Bearbeitungsplan» existiert nicht. Die Klänge schaffen sich selbst ihre Bühne in dem leeren Haus. Kosk greift in etwa wie ein Maler ein, der einem einmal gesetzten Pinselstreich bedingungslos in seiner Eigendynamik folgt. Kosk ist als Komponist mutig genug, philosophischen Überbauten wegzulassen und gleichzeitig zu bekennen, dass seine Musik visuell inspiriert ist.

Annette Eckerle