Kosk, Patrick

Mondweiß

Verlag/Label: Edition RZ 3005
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2009/06 , Seite 86

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 2
Booklet: 4
Gesamtwertung: 3

 

Der Begriff «Musique concrète» – auf Pierre Schaeffer zurückgehende Bezeichnung für Kompositionen, die sich «natürlicher» wie elektronisch hervorgebrachter Töne, Klänge und Geräusche bedienen und eines Interpreten nicht bedürfen – wirkt ein wenig angegraut. Auf die computergenerierten Kompositionen des schwedischsprachigen Finnen Patrick Kosk, denen mancherlei «konkretes» Ausgangsmaterial innewohnt, trifft er dennoch zu. Was Kosk (Jahrgang 1951) seit über zwei Jahrzehnten in Elektronischen bzw. Experimental-Studios von der TU Berlin über den Finnischen Rundfunk bis zum eigenen Klanglabor mit Unterstützung des Berliner Künstlerprogramms, finnischer und schwe­discher Stiftungen zusammenbraut, sind abstrakte Hörspiele, wundersame Klang­tapeten und befremdliche Seelenlandschaften.
Sie rühren oftmals von den absonderlichsten Verrichtungen her. Bei Mondweiß (2007/08) zum Beispiel, einem Notturno nahe dem weißen Rauschen, glitt anfangs eine alte Bürste über eine Holzwand, schabten Kohlestücke an einer Fensterscheibe. Derlei Schallereignisse mutieren im schöpferischen Prozess zu Erinnerungsfasern und flüchtigen Erzählmomenten, die ziellos vorüberschweben, einander über­schichten, abbrechen. Sie kommen aus dem Irgendwo und verflüchtigen sich ins Nirgendwo. Unvorhersehbar, ohne Richtungsstreben und Entwicklungsdrang. Stattdessen, wie Björn Gottstein im Book­let treffend bemerkt: unaufgelöste Spannungen, «Antithesen, die sich einer Synthese verweigern».
Einer Obsession gleich kommt Kosks Vorliebe für ein balinesisches Schlaginstrument, das aus gestimmten Bambusröhren besteht und den tonmalenden Namen Angklung trägt. Des­sen Klänge kontrapunktiert er gern mit Geräuschen schabenden, splitternden oder brechenden Eises. Dieser akustischen Versuchsanordnung gewann der Komponist eine komplette Trilogie ab: Angklung & Ice (2004/05), La Boîte und Das Kästchen und Tripitaka (beide 2005), benannt nach dem «Dreikorb», einer buddhistischen Schriftensammlung. Angklung & Ice ließe sich als «eisige» Klangskulptur bezeichnen. Der Titel La Boîte verweist auf eine Kiste, die jemand öffnet und schließt, um sich ihres Inhalts zu vergewissern …
Ein mechanischer Schneebesen und kratzende Schwerter, Aufnahmen aus freier Natur, Werkzeug-Geschepper aus dem Kuhstall und modulierte Flötenklänge waren das heterogene Lautmaterial zu Distrak – sillalla (1992). Wobei das finnische Wort sillala soviel bedeutet wie «auf der Brücke befindlich», also einen Zustand des Übergangs oder Übergänglichen meint. Kosks «Hörstücke» eignen sich für Theater- und Tanzprojekte, Performances, Literatur-Inszenierungen oder multimediale Inventionen.

Lutz Lesle