Christina Kubisch / Eckehard Güther

Mosaïque Mosaic

Verlag/Label: Gruenrekorder Gruen 131
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/03 , Seite 89

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

«Yes – oui – yes – oui – yes – oui»: Die Stimme des Predigers überschlägt sich beinahe, dicht gefolgt von einer nüchtern vorgetragenen französischen Übersetzung. Bei «I set them on fire» antwortet das Publikum, dann setzt der Chor ein, begleitet von Keyboard und Schlagzeug. Ein Gottesdienst im englischsprachigen Küstenstädtchen Limba im Südwesten Kameruns bildet den Auftakt zu einer Rundreise durch die Soundscapes des Landes.
Auf Einladung des Kunstvereins Doual’­art – seit 25 Jahren eines der interessantesten Zentren zeitgenössischer Kunst südlich der Sahara – wa­ren Christina Kubisch und Eckehard Güther 2010 für einen Workshop zum Thema Field Recording nach Douala, Kameruns größter Stadt, gekommen. Anders als im Falle der ethnologischen Feldaufnahmen vergangener Zeiten steckt dahinter allerdings nicht der Versuch einer Klassi­fizierung, sondern es geht um das Hören an sich, um musikalische und außermusikalische Klänge, die Kubisch und Güther zu einem sensiblen Hörstück montiert haben.
Auch sind die Subjekt-Objekt-Positionen anders verteilt, denn es waren die Workshop-Teilnehmer, die sie an Orte geführt haben, die interessante Hörerfahrungen bieten: abseits vom allgegenwärtigen Lärm des Verkehrs, der Ghettoblaster und Sound Systems. Marktschreier; das rhythmische Tockern der Räder auf einer Bahnfahrt von Kameruns Hauptstadt Yaoundé nach Ngoundéré; Hundegebell und krähende Vogelrufe aus der Weite des Raums in einer nächtlichen Hotellobby; das jährliche Na­gondo-Festival der Sawa bei Douala; die Stimme des Predigers in einer Moschee und eine Prozession mit Schalmeien und Trommeln zum Beginn des Ramadan; Insekten und Vogelgezwitscher in einem Nationalpark – solche Klänge sehr unterschiedlicher Herkunft setzen sich zusammen zum Hörbild eines ganzen Landes, wie es seit Luc Ferraris Promenade symphonique à travers un paysage musical, aufgenommen 1976 in Algerien, nicht wieder in vergleichbarer Qualität entworfen wurde.
Die große Kunst Kubischs besteht im unvoreingenommenen Hinhören und in der transparenten Wiedergabe der Klänge, gleich ob es sich um den mehrstimmigen Dur-Gesang einer Chorprobe, das vielstimmige Hämmern in einer metallverarbeitenden Werkstatt, Highlife-Gitarren oder den Anlasser eines Motors handelt. Es sind immer prägnante Klänge, deren Polyphonie zum Eintauchen einlädt: Man fühlt sich von Tönen und Geräuschen umgeben und beginnt Landschaften zu imaginieren. Umso mehr, als Kubisch und Güther sich und den Hörern viel Zeit lassen, sich in die einzelnen Aufnahmen einzuhören – die umgekehrt des geduldigen Zuhörens wert sind.
Zum Schluss lässt eine rund 16-minütige Passage eine ganze Nacht vor dem inneren Ohr und Auge erstehen: Anfangs trommelt der Regen heftig auf ein Wellblechdach. Mal quietscht eine Tür, dann fährt ein Fahrzeug vorbei. Als der Regen nachlässt, tritt der Gesang der Zikaden her­vor. Immer stiller wird es, bis schließlich mit Vogelgezwitscher, Hahnenschreien und Weckrufen ein neuer Tag anbricht: nicht anders als anderswo auf der Welt.

Dietrich Heißenbüttel