Schönberg, Arnold
Moses und Aron
Produktion der Ruhrtriennale 2009
Die riesige Jahrhunderthalle in Bochum, ein Industriedenkmal aus dem frühen 20. Jahrhundert, war schon mehrfach Schauplatz spektakulärer Musiktheaterinszenierungen, so etwa 2006 mit Bernd Alois Zimmermanns Soldaten. Die ungewöhnlichen Dimensionen und die vollkommen offenen Strukturen laden dazu ein, den Raum auf architektonische Weise als Inszenierungsparameter zu nutzen. Die Ruhrtriennale 2009 legte nun mit einem in jeder Hinsicht aufsehenerregenden Moses und Aron von Arnold Schönberg nach. Die Zuschauer sitzen sich auf zwei steil ansteigenden Rampen gegenüber, die zentrale Spielfläche befindet sich dazwischen, das Orchester sitzt seitlich. Der Bühnenbildner Wolfgang Gussmann arbeitet mit wenigen beweglichen Bühnenelementen. Auf dem Hauptspielort zwischen den Zuschauerrampen kann mit schnell aufgezogenen, transparenten Wänden ein Raumkubus errichtet werden, so dass sich das Geschehen unvermittelt in einen von außen einsehbaren Innenraum verlagert. In den Wunder-Szenen des ersten Akts ist dieser transparente Raum auch Schauplatz von
raffinierten 3D-Projektionen, hingezaubert vom Lichtdesigner Andreas Grüter und dem Videoproduzenten Johannes Grebert. Illusionärer Wunderglaube ist selten so schlüssig auch in eine Publikumsillusion umgesetzt worden.
Willy Decker nutzt diese flexible Architektur für eine Inszenierung, die neben der zentralen Spielfläche auch die Zuschauertribünen und sogar das Orchesterpodium als Schauplatz einbezieht. Die großen Distanzen überbrückt er mit einer mitreißend dynamischen Regie, in der die Chormassen Bilder von erregender Dramatik erzeugen. Was das von Rupert Huber einstudierte ChorWerk Ruhr leistet, ist bravourös, und dem Dirigenten Michael Boder gelingt das Kunststück, das räumlich komplex aufgefächerte Geschehen mit dem anspruchsvollen Orchesterpart so zu koordinieren, als handle es sich um Guckkastentheater. Zur äußeren Dramatik der Massenszenen bildet das Protagonistenpaar Moses (Dale Duesing) und Aron (Andreas Conrad) einen kraftvollen Gegenpol. Ihr Kampf um die Wahrheit, den sie gleichermaßen mit- wie gegeneinander austragen, führt zu Momenten von größter Intensität. Dank der Bildregie, die die beiden Charaktere in variantenreichen Nahaufnahmen zeigt, hat hier der Filmzuschauer womöglich sogar einen Vorteil gegenüber dem Live-Publikum.
Bei all dieser Leichtigkeit darf man nicht vergessen: Noch lange nach der szenischen Uraufführung des Werks in Zürich 1957 waren die ausgedehnten, enorm schwierigen Chorpartien ein Haupthindernis für die Verbreitung des Werks; fünfzig Jahre später verbinden sich in dieser Inszenierung musikalische und szenische Qualitäten zu einer Darbietung auf allerhöchstem Niveau.
Zum packenden Gesamteindruck, den diese Produktion auch am Bildschirm macht, trägt die Bildregie von Hannes Rossacher maßgeblich bei. Mit ihren wechselnden Blicken in die Tiefe des Raums, den Charakterstudien der beiden Protagonisten und besonders spektakulär mit der senkrechten Sicht aus der Höhe der Halle auf die Bewegungsmuster der Chormassen sind die Kameraperspektiven schlicht atemberaubend.
Max Nyffeler