Schwartz, Jay
Music for Orchestra / Music for Six Voices / Music for 12 Cellos / Music for Five Stringed Instruments
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5
Die Jury des Deutschen Musikrats hat wieder einmal eine sehr gute Wahl getroffen. In der seit 1986 herausgegebenen Reihe «Edition Zeitgenössische Musik» interpretieren das hr-Sinfonieorchester (Leitung: Diego Masson), die Neuen Vocalsolisten Stuttgart sowie Cellisten des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR (Leitung: Erik Nielsen) und das Kairos Quartett mit Matthias Bauer (Kontrabass) vier Werke des 1965 in San Diego geborenen Jay Schwartz.
Anschwellender Orchesterklang legt sich wie eine zarte Glasur über die Realität, ein strömungsstarkes, in Gewittern zerfließendes Rauschen lenkt die Geräuschszenarien und tapeziert mit eruptiver Kraft den Klangraum bei Jay Schwartz wackeln nicht die Wände, sie beben, Aufmerksamkeit einfordernd wie ein erhobener Zeigefinger. Minutenlang ist der Klang nur zu erahnen. Schwartz platziert den Beginn der Music for orchestra noch vor dem hörbaren Ereignis; er bedeutet dem Zuhörer, sich auf etwas gefasst zu machen, was noch passiert, das Bewusstsein aber noch nicht erreicht. Dabei erschafft Schwartz keine Musik des Zufalls, wie sie insbesondere John Cage mit seinem Werk Music of changes intensiv betrieben hat. Bei ihm ist vielmehr das Spitzen der Ohren zunächst einmal wichtige Voraussetzung zum musikalischen Erleben. Absolute Konzentration auf die herumschwebenden Schallwellen während der ersten zwei Minuten ist Voraussetzung für das Verständnis dieses Stücks.
Der noch junge Komponist, Gewinner des Bernd-Alois-Zimmermann-Preises für Komposition der Stadt Köln 2000 und mehrfach mit Stipendien bedacht, offenbart bereits heute ein umfangreiches Werkverzeichnis. Music for six voices von 2006 erinnert an ein in ferner Distanz zu ortendes Geräusch ähnlich den kunterbunten Vogelstimmen in einem Vogelhaus. Das Durcheinander än-dert sich ziemlich schnell zugunsten menschlicher Stimmen in eintönigen Endlosschleifen. Sirenengesang oder Naturgeräusch, Klage- oder Kunstlied? Schwartz verhindert eine präzise Ortung, in dem er die Stimmen sich selbst tragen lässt und so den Eindruck der Endlosigkeit begünstigt.
Auch Music for 12 cellos nimmt die Unhörbarkeit als Ausgangspunkt nahe kommender und sich entfernender Tonkaskaden. Die Celli als solche kaum zu erkennen verändern sich im Klangverhalten vom tieftönenden Bassintervall zum kaleidoskopischen Blech- oder Holzbläsersound. Letzteres, eine akustische Täuschung, zeigt auf, wie Jay Schwartz mit dem Material arbeitet: antitendenziös, antizyklisch und gegen die Hörgewohnheiten. Music for five stringed instruments folgt dem Prinzip des vorläufigen Nichtwahrnehmens. Diese Musik atmet und hört dem eigenen Atem nach. Schwartz besteht darauf, dass an seiner Musik nichts Meditatives ist. Es fällt schwer, dem nach dem Hören der CD ohne Weiteres zu folgen.
Klaus Hübner