Gourzi, Konstantia
Music for Piano and String Quartet
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 3
Fünf langsame Viertel, dann vier, wieder fünf
vier Variationen eines Grundmotivs: disparate Töne, keine Volksweise, obwohl die achttaktige Form etwas Liedhaftes hat. In der Wiederholung fallen einzelne Töne in der höchsten Lage dazwischen, dann im Bassregister. Im nächsten Durchgang wandert die linke Hand synchron zur Melodie die Klaviatur hinauf. Im Kontrast dazu endet das Stück glockenspiel-, hoquetusartig in den hohen Lagen.
Konstantia Gourzi nimmt nicht teil am Überbietungswettbewerb um die komplexesten Kompositionen und virtuosesten neuen Techniken. Eine kleine Geschichte, so der Titel des einleitenden Klavierstücks, dauert gerade mal drei Minuten. Die neun fragmente einer ewigkeit, so der Untertitel des folgenden Streichquartetts Nr. 2 op. 33/2, P-ILION, sind kaum mehr als zehn Minuten lang, die sechs Klavierstücke Aiolos Wind op. 41 zusammen nicht ganz sieben Minuten ebenso wie die sieben Miniaturen «noch fürcht ich» op. 8 nach einem Gedicht von Ingeborg Bachmann.
Gourzi erzählt «kleine Geschichten», so will es scheinen, und doch: Was heißt «Geschichten»? «einatmen» heißt der erste Satz des Streichquartetts, «ausatmen» der zweite. Es sind Momente, die sie festzuhalten sucht. «tettix», der dritte Satz, ist der Name einer Zikade, die wiederholte schwirrende Tonfolge lautmalerisch. «jasmin» lässt in der Imagination Blütenduft in der Abenddämmerung erstehen. Es folgt noch eine Bouzouki-Melodie, ein sprechend «windig» betitelter Satz, ein «tanz», bestehend aus wiederholten heftigen, geräuschhaften Violinattacken und einer Violoncello-Melodie, bevor das Streichquartett mit einer langsamen, melodiösen «nachtblume» ausklingt.
Gourzi bedient sich einer sehr reduzierten Tonsprache und knüpft damit an Komponisten wie Franz Schubert oder Erik Satie an. Trotz romantischer Anklänge und liedhafter Formen schreibt sie aus einer heutigen Perspektive. Dissonanzen sind allgegenwärtig, gelegentliche funktionale Harmonien eher Anklang, der zurückverweist auf Bekanntes, Erinnerung, Unverändertes. Aiolos Wind besteht aus Hommagen an sechs Komponisten, Dirigenten, Wegbegleiter. Doch ausgerechnet der erste Satz, Helmut Lachenmann gewidmet, besteht aus einer schlichten Melodie über einem 6/8-Ostinato in der linken Hand. Wenn es nicht so abgegriffen klänge, könnte man von einer Perspektive des «Post-» sprechen: Tonal oder atonal ist hier nicht die Frage. Wiederholungen, Ostinati, bei gedrücktem Pedal verklingende Töne, Pausen, extrem lang angehaltene Töne bei den Streichern, oft mit starkem Vibrato, gleich ob in starken Dissonanzen oder romantischen Harmonien, haben alle die Funktion, die Zeit anzuhalten oder dies zumindest zu suggerieren. Schnelle Notenwerte kommen, wenn überhaupt, nur als Ostinato vor treten also wiederum auf der Stelle oder in der Art von Bartóks Mikrokosmos einmal angespielt und schon wieder vorbei: wie das spontane Aufleuchten einer Erinnerung, die gleich wieder anderen Gedanken Platz macht.
Dietrich Heißenbüttel