Kreidler, Johannes

Musik mit Musik

Verlag/Label: CD + DVD Wergo WER 64132
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/04 , Seite 83

Musikalische Wertung: 4

Technische Wertung: 5

Booklet: 5

«Musik mit Musik» hat Johannes Kreidler die konzeptuelle Basis seines Arbeitens überschrieben und damit in Abwandlung einer altbekannten Adorno-Kategorie den inklusiven Charakter eines Komponierens im Zeitalter digitaler Verfügbarkeit betitelt. Sein Material sind keine «autonomen» Klänge und Strukturen mit dem Anspruch auf Originalität, sondern Samples und Sound­files, die musikalische «objets trouvés» filtern, manipulieren und in hyperaktiven Hypercollagen neu durcheinanderkontextualisieren. Stücke wie hyper intervals (2006-08), cache surrealism (2008) und Living in an Box (2010) fragmentieren häufig betont «flaches», «anonymes» Material aus Pop, Jazz und Klassik zu rhythmisch exzessiv zerhackten Interaktionen mit einer «Neue-Musik-Schicht» instrumentaler Ensemble-Klänge. 
Die Idee totaler Verfügbarkeit alles jemals «Erfundenen» und die damit einhergehenden Spannungen von Original und Kopie, Urheberschaft und Aneignung hat Kreidler programmatisch auf die Spitze getrieben in product placement (2008), einem rein synthetischen Statement zur Autorenschaft, das in 33 Sekunden 70200 Fremdzitate verarbeitet. Kreidler ging dafür mit 70200 Antragsformularen zur GEMA. 
In Fremdarbeit für vier Instrumente (2009) hat er den Kompositionsprozess einfach mal komplett «outgesourct» vom Ich und einen chinesischen Komponisten sowie ei­nen indischen Programmierer beauftragt, Kreidler’sche Stilkopien anzufertigen – zu Dumping-Preisen. Dass diese «Plagiate» kaum anders klingen als Kreidlers «Originale», spricht dabei eher für als gegen die Konsequenz seiner Aneignungs-Praktiken. 
Kreidler ist natürlich nicht nur ein Nachfahre musik-konzeptueller Vordenker, sondern auch ein Geistesverwandter von Martin Kippenberger und Christoph Schlingensief. Seine «Konzept-Musik» bewegt sich stets an der Schwelle zur subversiven «Aktion», deren potenzielle Albernheiten einem auch mal im Halse stecken bleiben. Ein Umstand, den die DVD dieses audio-visuellen Doppelpacks umfangreich dokumentiert. Da verwandeln sich in Charts Music Börsenkurse und Wirtschaftsstatistiken in debil umherhüpfende Trivial-Melodien, wird in Compression Sound Art radikale Informations-Komprimierung betrieben und zentrale Kulturgüter, darunter alle Beethoven-Symphonien, Kants Kritik der reinen Urteilskraft oder Pornofilme, auf eine Drittelsekunde zusammengestaucht. Übrig bleibt in den meisten Fällen ein Kratzen … Musik ist nicht das Ziel von Kreidlers Ideen-Labor.
Der performative Charakter seiner «Konzept-Musik» zeigt sich in den experimentellen Video-Miniaturen der Kinect Studies (2011/13), Split Screen Studies (2012) und 22 music pieces for video (2014) unermüdlich verspielt, einfallsreich, narzisstisch, selbstironisch. Aber es ist gerade hier auch so einiges darunter, wo einem gleich das Sol LeWitt-Zitat aus Kreidlers 23 Sätzen über musikalische Konzeptkunst einfällt: «Nicht alle Ideen müssen verwirklicht werden.»
Dirk Wieschollek