Walshe, Jennifer

Nature Data

Verlag/Label: Interval Recordings IL05
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/01 , Seite 91

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 4
Booklet: –
Gesamtwertung: 4

Die CD kommt unscheinbar daher, vertraut sich uns nur über den Titel an und schweigt sich ansonsten über ihren Inhalt aus. Kontraste zwischen differenziert ausgeloteten Möglichkeiten des Umgangs mit der eigenen, teilweise elektronisch vervielfachten Stim­me und den aus elektronischen oder instrumentalen Klangerzeugern gewonnen «low tech»-Klängen: dies sind die Elemente, mit denen die Komponistin und Performerin Jennifer Walshe den Dialog mit dem Hörer eröffnet und bis zum Ende des Tonträgers konsequent beibehält. In Ermangelung verbaler Zusatzinformationen in Gestalt eines Booklets bleibt einem nichts anderes übrig als der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen und sich dem solchermaßen angestoßenen Prozess zu überlassen, dabei allenfalls von vagen assoziativen Verweisen aus den Titeln der insgesamt vier Stücke geleitet.
Gerade dies mag die Voraussetzung dafür sein, dass sich ein kom­munikatives Feld öffnet, in dem sich Walshes einfallsreiche Stimm- und Klang­gebilde als Narrationen voller Emotionalität und Ironie entpuppen. So beginnen sich im eröffnenden Stück nature data die semantisch unbestimmten Lautbildungen mit Lippen, Gaumen oder Kehlkopf, die Atemgeräusche und die Pfeiflaute zu affektiven Zusammenhängen zu verdichten, de­nen durch Zuspielung von Klängen über Kassettenrekorder und durch Einblendung eines leisen Klanghintergrunds aus manipulierten Stimmen zwei weitere Ebenen hinzugefügt wer­den.
Anders wirken die musikalischen Kontexte dort, wo die Sprache als Träger von Information fungiert: In den sieben kontrastierend angelegten Abschnitten von (your name here) folgt Walshe dem Duktus einer Erzählung, deren Bruchstücke sich allmählich zu einem Albtraum verdichten. Hier wie andernorts bleibt die Identität der verwendeten Klangerzeuger weitgehend unbestimmt und gibt sich nur gelegentlich als Zusammenspiel geräuschvoll gestrichener Saiten oder geriebener Metallflächen zu erkennen.
Umso überraschender ist die Schicht aus fernen Orgelklängen, die in i: same person / ii: not the same person zunächst den mit flüsternd gepresster Stimme vorgetragenen, später sich allmählich zum Eindruck eines zu Klang gewordenen Todeskampfs hoch­schaukelnden Monolog fundiert, um immer wieder von schneidenden Klängen gestört zu werden. Wenn dann zum Abschluss in G.L.O.R.I.- die Sprechstimme zwischen gerade noch erkennbaren, exaltiert vorgetragenen Melodie- und Textfragmenten aus Popsongs verschwindet, mutet dies fast schon wie eine Befreiung an.
Was Walshe in den Titeln entwirft, wird oft zum beklemmenden Szenario voller Rätselhaftigkeit – zu einer Art Kino für die Ohren, dessen eingangs eher harmlos anmutende Splitter auf unser Erfahrungswissen zielen und insgeheim von verborgenen Abgründen und unterschwelliger Gewalt künden. So schafft es die Komponistin, jedem Stück durch die spezifische Art des Umgangs mit Stimme und Klangerzeugern eine eigene Identität zu verleihen und – von einigen etwas redundant geratenen Passagen einmal abgesehen – die Aufmerksamkeit des Hörers kontinuierlich zu fesseln.
Stefan Drees