Schneid, Tobias PM

New Works

Verlag/Label: NEOS 11105
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/03 , Seite 87

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Unter «Stimmigkeit» wird jeder etwas anderes verstehen – Helmut Lachenmann anderes als einst György Ligeti oder Harry Partch. Stimmig jedenfalls ist der Weg Tobias PM Schneids. Er fühle sich zuweilen «wie auf einer Klippe», sagt er, und er weiß zugleich um die Gefahren, die da lauern: Er möchte weder abrutschen ins «Konventionelle» noch in die «Keimfreiheit» struktureller Selbstbezüglichkeit wie, so darf man ergänzen, in erzwungene Überkomplexität.
Damit ist einiges gesagt. Schneids Musik teilt sich mit, aber sie drängt sich nicht auf. Rückgriffe auf Vergangenes kaschiert er nicht. Wenn wie im Piano Trio No. 1 … towards the abstract seas … (2003/2008) Motorisches à la Dimitri Schostakowitsch ins Spiel kommt, dann sind es keine Zitate, wohl aber deutliche Allusionen. Stellenweise offenbaren sich da Ähnlichkeiten zur Musik des jüngeren Daniel Smutny (wenngleich der Gestus von Smutnys Werk letztlich distanzierter wirkt). Beide haben sich zu Recht von den alten Dogmen der Avantgarde emanzipiert. Er scheue sich nicht vor der «Abgenutztheit» des traditionellen Materials, so Schneid.
Das Piano Trio No. 1, ein «Ritornell im Gedenken an meinen Vater Franz Xaver Schneid», ist das mit Abstand längste Stück auf der CD. In den jeweils kurzen Sechs Bagatellen für Klaviersolo (2011) kommen verschiedenste Einfluss-Sphären auf den Punkt. Da klingt es mal nach den Klavieretüden des von Schneid geschätzten György Ligeti (Bagatellen 1 und 2), mal – es muss sich nicht ausschließen – nach Claude Debussy (Bagatelle 6), mal nach Conlon Nancarrow inklusive einer packenden Virtuosität (Bagatelle 4).
Zur Distanz von der Avantgarde zählt nicht nur der tolerante Umgang mit Tonalität, sondern auch die Revitalisierung von subjektivem Ausdruck. Packend ist die Hommage an György Ligeti im Piano Trio No. 2 Three Farewells and Intermezzo for L (2007). Im ersten und dritten Satz bestimmt wieder prägnante Rhythmik das Geschehen, während sich Schneid im zweiten und vierten Satz als feiner Instrumentator getragener Klangwelten zeigt.
Die in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk entstandene CD (Produzent: Helmut Rohm) lässt kei­ne Wünsche offen. Gewohnt angenehm ist die schöne und schlichte NEOS-Verpackung. Alle fünf Stücke wurden für das 2003 in Zürich gegründete Tecchler Trio (Esther Hop­pe, Violine; Maximilian Hornung, Cello; Benjamin Engeli, Klavier) geschrieben. Es zeigt sich von seiner besten Seite, sowohl im Zusammenspiel als auch solistisch. Hoppes Vibrato hätte in den Five Portraits – Capriccios für Violine solo (2011) etwas zurückhaltender eingesetzt werden können. Aber vielleicht verlangt ein Satz mit dem Titel «Melancholy Madness» ja nach einem dick aufgetragenen schwel­gerischen Ton. Letztlich wäre dann eben auch das «stimmig».

Torsten Möller