Nocturne

Ein Film mit dem Kairos Quartett und Dmitri Kourliandski von Ingo J. Biermann

Verlag/Label: Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin | 90 min.
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/04 , Seite 81

«Nocturne» nennt sich eine DVD, die den Entstehungsprozess der Streichquartettkomposition «Night-turn» von Dmitri Kourliandski dokumentiert. Man sieht den russischen Komponisten, wie er in seinem Berliner Zuhause am Klavier seine musikalischen Auffassungen darlegt und an seiner Partitur arbeitet. Eine zweite Ebene bilden die Probenaufnahmen mit dem Kairos Quartett; sie beginnen mit der ersten Durchsicht der Noten und gehen bis zur Saalprobe vor der Uraufführung. Die Aufzeichnung des Konzerts bei der MaerzMusik 2009 in Berlin beendet den Film.
Das Ganze ist, einem gängigen Muster für solche monografischen Filme entsprechend, als ein rund ein Jahr dauernder Arbeitsprozess dargestellt. Es dominieren lange Einstellungen, die den ganz normalen Arbeitsalltag und die spontane Kommunikation dokumentieren. Was in vergleichbaren Dokumentationen dem Schnitt zum Opfer fällt, bleibt hier erhalten. Die ungeschminkte Realität hat Vorrang vor der formalen Disziplin und der Konzentration der Aussage. Das schafft eine Atmosphäre der Zwanglosigkeit und wirkt ehrlich. Es hat aber auch Nachteile. Etwa wenn der Komponist vor laufender Kamera versucht, auf Englisch Ordnung in seine Gedanken zu bringen, was ziemlich unbeholfen wirkt. Oder wenn bei der Uraufführung im zunehmend unruhigen Publikum – Neue-Musik-Insider können hier manche vertrauten Gesichter erkennen – ausgerechnet jene Person in Nahaufnahme gezeigt wird, die einen verstohlenen Blick auf die Uhr wirft.
Kurliandski schreibt keine gefällige Mu­sik. Mit trockenen, geräuschhaften Tonpunkten, die in die Stille hineingesetzt werden, tastet sie sich an den Rändern des Streicherklangs entlang. Das erfordert Konzentration und einen geneigten Hörer. Ob dieser Film der fragilen Kunst Kourliandskis über die Insider hinaus neue Publikumsschichten erschließen kann, ist fraglich.

Max Nyffeler