Noise of Cologne I

Verlag/Label: NOC-1
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/01 , Seite 91

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 4

Lärm aus Köln – dieser Titel verwirrt. Der Sampler stellt nämlich keine Kölner Vertreter der Noise-Musik vor, beschränkt sich nicht nur auf einen Stil, sondern möchte unterschiedliche musikalische Ansätze aus der Domstadt am Rhein vorstellen. Noise steht hier für Vielfalt und für jede Art der Methode, mit Klängen zu arbeiten. Diese Offenheit zeigt sich in der Diversität der von Frank Dommert und Hermann Christoph Müller eingeladenen Künstler. Unter anderem treffen Interpreten mit einem akademischen Background auf Protagonisten der improvisierten Musik, Arbeiten aus dem Spektrum der Musikinstallation werden mit Ideen aus der Klangkunst kollagiert.
Besonders hervorzuheben ist, dass einige der auf der CD präsentierten Musiker bereits seit langer Zeit den Klang Kölns mitbestimmen, allerdings ihre Musik nur sehr selten oder gar nicht veröffentlichen. Noise of Cologne 1 ist somit von einem archäologischen Impetus gekennzeichnet: Es geht um die Ausgrabung und Archivierung vergessener akustischer Schätze und ihrer Interpreten. Dazu zählt zum Beispiel die Sprachkomposition Atem des Windes des Komponisten Peter Behrendsen. Das Wort «Wind» wird in unterschiedlichen Sprachen eingesprochen und mit Hilfe von elektronischen Klangsyntheseverfahren bearbeitet. Anschließend werden die Aufnahmen mittels Zufallsverfahren arrangiert und zu einem bedrohlichen Klangmonolithen, der ständig seine Form zu verändern scheint, zusammengeschweißt. Der Elektroniker Jo­ker Nies modifiziert ein Q-Chord,
ein Instrument aus der Omnichord-Familie, mit einem gezielten Eingriff in die elektronischen Schaltkreise des Klangerzeugers. Das Resultat ist ein musikalisches System, das scheinbar außer Kontrolle geraten ist. Hans W. Kochs [X8 = op(X8)]2 basiert auf Sounds seiner Installation BrückenMusik 3, die 1997 zu erleben war. Trotz des sperrigen Titels ist Kochs Komposition sehr zugänglich. Man hört eine stimmungsvolle Drone, die diversen dynamischen Schwankungen ausgesetzt ist und sofort ins Ohr geht. Der Gitarrist Robert Vater geht impulsi­-ver zur Sache. Von den insgesamt 17 Stücken ist seines das kürzeste und lauteste – ein ruppiger Loop aus elektronischen Abfällen, schmutzig und direkt.
Populäre Protagonisten der Kölner Szene sind natürlich auch vertreten. Marcus Schmickler und Thomas Lehn entfachen ein Feuerwerk analoger und digitaler Klangpyromanie, das Duo Pirx erforscht sehr eloquent das Zusammenspiel von Gitarre und Laptop, während C-Schulz und F.X. Randomiz mit Das Ohr am Gleis Sounds der heutigen Zugwelt spielen.
Erfreulich ist darüber hinaus die Distanzierung von der Kölner Clubkultur, die mittlerweile zu einem altbekannten Markenzeichen der Stadt avanciert ist und viele Compilations bespielt hat. Schließlich geht es den Kuratoren doch um die Suche nach einem anderen Köln, einem akustischen Zwischenraum, der in zukünftigen Veröffentlichungen sicherlich noch viele Geheimnisse offenbaren wird.
Raphael Smarzoch