Zubel, Agata

Not I

Verlag/Label: Kairos 0013362KAI
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/06 , Seite 91

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Agata Zubel ist eine Vokalperformerin, die auch kompositorisch tätig ist und sich dabei natürlich so einiges selbst auf den Leib schreibt. Zwei Dinge fallen sofort auf: eine bemerkenswerte Wandlungsfähigkeit der Stimme zwischen den Extremen von glasklarem Belcanto und urwüchsiger Lautartikulation sowie ein immens fantasiereicher Umgang mit instrumentalen Klangfarben – eine nicht gerade alltägliche Kombination. Die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Literatur ist dabei wesentliche Antriebsfeder.
«Im Labyrinth» (2011) über Verse der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Wislawa Szymborska fin­den abgründige Lebensangst und klaustrophobische Ego-Befindlich­kei­ten ihren Widerhall in gehauchten Sprachbruchstücken oder atemlos-übergeschnapptem Parlando, auch instrumental immer nah am Tempo-Limit.
Besonders beeindruckend: Die «Aphorisms on Milosz/Aforyzmy na Milosza» (2011). Die Musik, die die­se Text-Collage aus sieben Gedicht­exzerpten des Polen Czeslaw Milosz trägt, ist jedoch alles andere als aphoristisch gedacht, sondern mit verschwenderischem Einfallsreichtum der Gesten, Farben und Tonfälle ausgestattet. Unablässig wandelt sich das Gesicht dieser «Vertonungen» zweifelnder bis todesschwangerer Gedanken und findet Klangbilder von raunender Düsternis oder gleißend heller Unwirtlichkeit. Stimmlich kann das als schamanenhafte Beschwörung oder sphärisch entrückte Vokalisen in Erscheinung treten, instrumental als sirenenhaft glissandierende Flächen, kaskadenhafte Verdichtungen, zerhackte Staccato-Felder – besonders suggestiv gemacht in den Gedanken über das Wesen des «Abgrundes», der für manchen eben direkt neben der Autobahn liegt: «All that it does is wait.»
Das Warten ist auch den existenziellen Selbstreflektionen von Sa­muel Becketts dramatischem Monolog «NOT I» immanent, den Zubel hier in ein Stück für Stimme, In­strumentalensemble und Elektronik zwischen Sprachlosigkeit und Exzess, ersticktem Stottern, zerklüfteten Unisoni und manischen (manchmal auch feldmanesk melancholischen) Wiederholungsschleifen transformiert hat – ein babylonisches Durcheinander, das am Ende einem akustischen Stroboskop nahekommt.
Dass Zubel aber auch rein instrumental kann und dabei elektronische Klangfarben nicht verschmäht (Zubel arbeitet mit dem Elektroniker Cezary Duchnowski auch als «ElettroVoce» zusammen), zeigen die «Shades of Ice» (2011), die auf Impressionen einer Islandreise zurückgehen: eine zerklüftete Klanglandschaft im Bann isländischer Gletscher, mit verstärkter Klarinette und ungemütlichen elektronischen Störfeuern, wo zähflüssige Ströme brodeln und flüssige Klangbewegungen in alle Richtungen mäandern.

Dirk Wieschollek