Ruzicka, Peter

Orchestra Works, Vol. 3

Verlag/Label: NEOS 11406
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/05 , Seite 74

Musikalische Wertung: 5

Technische Wertung: 4

Booklet: 4

 

Zur Erinnerung: Vol. 1 der Editionsreihe enthielt Ruzickas Orchesterwerke Vorecho, Nachklang, Memorial per G. S. und Nachtstück (aufgegebenes Werk), Vol. 2 bot die Orchesterstücke Über Unstern, Trans und Mahler Bild.

Spiral für Hornquartett und Orchester (2013/14), ein Auftragswerk des Mitteldeutschen Rundfunks, ist eigentlich kein Konzert für vier Hörner, sondern – wie Peter Gülke im Beiheft betont – für ein neues, aus vier Hörnern verschweißtes Instrument. Ein „Hormonium“ quasi. Ein Konzert ist es allerdings: das Prinzip des Wettstreitens zwischen der „viereinigen“ Sologruppe und dem Orchester bleibt durchgehend erhalten. Die Streitbereitschaft ergreift sogar einzelne Gruppen oder Soloinstrumente des Orchesters.

Hinter Ruzickas Idee, „musikalische Gestalten durch Wiederholung und Differenz in einen Zustand des Kreisens“ zu versetzen, verbirgt sich die Sehnsucht, Musik dem Nacheinander zu entheben, dem sie als Zeitkunst unterliegt. Der Komponist lässt Klangereignisse nicht entschwinden, sondern bei sich verweilen, indem sie einander spiralförmig umkreisen. Auf diese Weise bleibt „alles, was wir hören, gleich nah zum Zentrum“. Wie jeder Punkt auf der Außenhaut einer Kugel. Zum Assoziations-Hintergrund des Stücks gehört auch Schumanns Konzertstück für vier Hörner.Vor allem aber der Tod des Jahrhundertkomponisten Hans Werner Henze, dem sich Ruzicka in dessen späten Jahren künstlerisch und menschlich sehr nah fühlte.

Das Leipziger Hornquartett ist nicht nur das älteste (1951 gegründet), sondern auch das langlebigste, klang- schönste und begehrteste weithin. Es beim Komponieren im Ohr zu haben und seiner Geneigtheit gewiss zu sein, ist für einen Auftragnehmer – salopp gesagt – mindestens die halbe Miete.

Recherche (im Innersten) für Chor und großes Orchester (1999) hängt einmal mehr der dunkelsinnigen Dichtung Paul Celans und der Erinnerung an den tief verwundeten Menschen nach, der sich 1970 in Paris das Leben nahm – bald nachdem der junge Ruzicka ihm dort noch begegnet war. So wurde ihm Celan zum Lebensthema und immerwährenden Schaffensimpuls.

Recherche ist das Herzstück seiner 1998 komponierten Oper CELAN. "Je-ru-sa-lem! Elf Anrufungen. Zwölf wäre die Zahl derVollkommenheit … Hier ist die zwölfte … In vierfachem Forte aber nur mehr ein schmerzlicher Aufschrei." (Habakuk Traber) Es ist, als renne die Musik gegen eine Mauer. Das letzte Reiseziel des Dichters war Jerusalem …

Das karge Klavierstück Am Grabe Richard Wagners, das Franz Liszt 1883 in Weimar niederschrieb, rührt an das zwiespältige Verhältnis, das Werk und Leben beider Großmeister schied und verband. Unstern heißt ein anderes Rätselstück seines Alterstrübsinns, dem Ruzicka 2010 einen orchestralen Hallraum verschaffte, bevor er es 2012 zu „übermalen“ versuchte. Als wollte er seine Verstocktheit lösen und das kahle Klavierstück zum Sprechen bringen, tönte er es mit den Farben eines groß besetzten Orchesters. Wie um diese „Untat“ zu mildern, widmete er ihm 2014 eine klangfilternde Nachzeichnung für Klavier.

Sophie-Mayuko Vetter nimmt sich ihrer mit Hingabe an. Das gleiche gilt für die Orchestermusiker des MDR, die dem dirigierenden Komponisten bis in die Dunkelkammern seiner Celan-, Liszt- und Wagner- Exegese folgen.

Lutz Lesle