Feldman, Morton

Orchestra

Intersection I / Structures / On Time and the Instrumental Factor / Voice and Instruments

Verlag/Label: Mode 238
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/02 , Seite 78

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 5

Morton Feldman ist heute, 25 Jahre nach seinem Tod, längst zu einem Klassiker der «neuen Musik» avanciert und diskografisch umfangreich präsent. Staunend nimmt man zur Kenntnis, dass dennoch vier von den fünf auf der vorliegenden CD präsentierten Kompositionen Feldmans erstmals eingespielt wurden, wobei es sich um Orchesterkompositionen handelt, die nahezu den gesamten Zeitraum seines Schaffens umfassen und damit die Entwicklung seiner Kompositionstechnik und -ästhetik widerspiegeln. Mit wechselnden Konzepten arbeitete sich Feldman an dem Problem ab, den Klang aus seinen funktionalen Zwängen zu befreien und den Ausführenden ein Mitspracherecht einzuräumen, ohne die Idee einer Gesamtgestalt aufzugeben, die seine persönliche Signatur tragen sollte.
«Intersection I» von 1951 dokumentiert die erste, auf rein grafischer Notation basierende Phase seines Schaffens. Die Partitur des Stücks ist in vier Notensysteme für Holz- und Blechbläser sowie hohe und tiefe Streicher aufgeteilt, wobei die einzelnen klanglichen Aktionen durch Rechtecke auf einem Gitterraster symbolisiert werden und Register und Maximaldauern, aber keine spezifischen Tonhöhen fixiert sind. Entsprechend blockartig klingt die Wiedergabe durch das Deutsche Symphonieorchester unter Brad Lubman. Nicht zufällig erinnert das Resultat mit seinen nebeneinandergesetzten Klangereignissen an die Malerei Piet Mondrians und wirkt wie deren akustisches Pendant; zeigte sich Feldman doch von dessen Kunst und jener des US-amerikanischen «abstrakten Expressionismus» tief beeindruckt. Anzumerken ist, dass in der vorliegenden Realisation der Partitur ausgeschriebene Stimmen zugrunde liegen, eine Verfahrensweise, die anfechtbar ist, auch wenn Feldman selbst später von der Idee abrückte, den Interpreten zuviel Freiheit zu lassen, weil diese dazu neigten, lediglich «historische Klischees zu wiederholen».
Fließender wirkt der Orchesterklang in «Structures» (1960-62) und «On Time and the Instrumental Factor» (1969), mit denen Feldman die Rückkehr zur konventionellen Notation erprobte und den Einzelstimmen wieder mehr Spielraum einräumte. Das für Feldman so typische leise und langsame Klangbild ist hier, im Gegensatz zum kantigeren «Intersection I», voll ausgebildet und prägt ebenfalls jene beiden späteren Werke Feldmans, welche die vorliegende Einspielung abrunden. Voice and Instruments von 1972 erweist sich als Folge ätherischer Klänge, bei denen die Sopranvokalisen Martha Cluvers direkt mit den hellen Instrumentalfarben verschmelzen, die punktuell hinzutreten und wieder ausgeblendet werden.
Größere Besetzung weist «Orchestra» von 1979 auf, wobei aber immer nur sehr wenige Instrumente simultan erklingen. Das Orchester wird gleichsam selbst zum Raum, durch den die Klänge wandern. Und sporadisch erscheinen auch motivische Ansätze. In den «leeren weißen Raum» seiner früheren Arbeiten stelle er nun «einige ausgewählte Möbelstücke» – so der Komponist über diese Verfahrensweise.

Gerhard Dietel