Lim, Liza
Orchestral Works
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5
Ein Chant gibt die Tonlage an; eine Anrufung. Nur eine kleine Folge von vier absteigenden Tönen, doch höchst ungewöhnlich für eine CD mit Orchesterwerken: weder der Klang europäischer Kunstmusik noch definiert durch die temperierte chromatische Tonskala. Liza Lim katapultiert die Hörer von The Compass weit außerhalb des Konzertsaals. Doch dann tritt beim dritten Mal ein tiefer Ton hinzu; Klanghölzer; Posaunen; ein vielfältiges Perkussions-Instrumentarium, Klavier, Celli, die immer quicklebendige Flöte von Carin Levine. Nachdem William Barton aufgehört hat zu singen, steigert sich die Dramatik weiter zu einer ersten Klimax, bevor er mit erdigen Klängen des Didgeridoos, grundiert von Paukenschlägen, das Orchester, das in alle Richtungen auszubrechen scheint, wieder auf den Boden zurückholt.
Es mag auf den ersten Blick riskant erscheinen, so weit auseinanderliegende Klangwelten zusammenzubringen. Doch es ist kein Nebeneinander: Man kann das Didgeridoo als Musikinstrument anhören, das einen außerordentlichen Reichtum an Klangfarben hervorbringt; und man kann ebenso auch aus den Flötentönen und orchestralen Klangfarben Tier-, Vogel-, ja Geisterstimmen heraushören. In jedem Fall bleibt einem keine Zeit darüber nachzudenken, weil einen die Dynamik der Ereignisse, auch an den vorübergehenden geräuschhaften Ruhepunkten, bei majestätischen Posaunentönen, kurzen Momenten der Stille, leise anschwellenden Streicherwolken nie loslässt. Umwerfend beide Solisten, die der vielfarbigen Orchesterkulisse, grundiert durch den einleitenden Chant, immer wieder zusätzlichen Glanz einhauchen.
Aber Liza Lim bedarf nicht des exotischen Instrumentariums: Im zweiten Stück, Pearl, Ochre and Hair String, ist es das Cello, das mit einem speziellen Bogen Obertonreichtum ins Spiel bringt. Rhythmische Holztrommeln, schillernde Streicher- und Bläserklangfarben: die Dramatik ist keine geringere, auch hier kann man sich wie auf einer seltsamen Reise fühlen, wo sphärische Klänge Licht aus einer anderen Welt aufscheinen lassen.
Lim hat sich mit den ästhetischen Kategorien der Aborigine-Kunst beschäftigt, die sie auf den großen Klangkörper des Sinfonieorchesters überträgt. Dies funktioniert gleichermaßen fesselnd von der ersten bis zur letzten Minute mit den beiden hervorragenden Orchestern und den drei Dirigenten, die die drei Werke der CD im Herkulessaal der Münchner Residenz und an den Donaueschinger Musiktagen eingespielt haben.
Im dritten Werk, The Guest, geht eine Trompete gleich in medias res, doch dann sind es die Blockflötentöne von Jeremias Schwarzer, die glissandierend, strauchelnd, einem bunten Paradiesvogel gleich, in einen Zauberwald entführen. Orchestrale Landschaften und sonore, virtuose Flötentöne haben genügend Raum, sich gegenseitig hervortreten zu lassen. Außergewöhnlich.
Dietrich Heißenbüttel