Hakim,Naji

Orgelwerke

Verlag/Label: Ambiente ACD-2032
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/04 , Seite 76

Musikalische Wertung: 5

Technische Wertung: 5

Booklet: 5

Kurz nach Restaurierung der Cavaillé-Coll-Orgel der Basilika Sacré-Cœur im Jahr 1985 trat ein dreißigjähriger Musiker das Amt des Titularorganisten auf dem Pariser Montmartre an, der bis dahin noch keinen unbedingt großen Namen hatte: Naji Hakim. 1955 in Beirut geboren und in Paris zum Ingenieur, Organisten und Komponisten ausgebildet, machte er schnell von sich reden. Wer ihn damals als Improvisator erlebte, hörte etwas völlig Neues, Unerhörtes. Bald kamen Hakims erste Kompositionen heraus: die Symphonie en Trois Mou­vements, The Embrace of Fire, Memor und die Hommage à Igor Stravinski. Der Kölner Organist Christoph Kuhlmann versammelt auf seiner CD diese zwischen 1984 und 1990 entstandenen Werke und unterstreicht deren nach wie vor innovative Kraft, ihre subtile Wirkung und den unbändig virtuosen Zuschnitt. 
Hakims musikalische Sprache, im­mer tonal geerdet, schlägt einen großen Bogen, exemplarisch erfahrbar im Trauermarsch von Memor: Hämmernde Akkordschläge im Fortissimo werden kontrastiert von einem himmlisch-zarten «Lumen Christi»-Zitat als Hoffnung und Versprechen (Memor ist Hakims Hommage an einen verstorbenen Freund). In The Embrace of Fire sind es das «verzehrende Feuer», von dem im Lukas-Evangelium zu lesen ist, und das «Wasser» als «Quelle des Heils», das der Prophet Jesaja beschreibt – auch hier extreme Gegensätze in der musikalischen Ausdeutung.
Hakim folgt durchaus der französischen Orgeltradition des 20. Jahrhunderts, der er vor allem bei seinem Lehrer Jean Langlais begegnet ist, entwickelt sie aber weiter, explizit in der Hommage à Igor Stravinski. Anklänge an Petrushka, Le Sacre du Printemps und L’Oiseau du feu sind da zu hören. Gleichwohl ist und bleibt Hakims Œuvre geistlich inspiriert und vom christlichen Glauben geprägt. Das verbindet ihn mit Charles Tournemire, für den Musik ebenfalls eine religiöse Dimension hatte, auch mit Olivier Messiaen, dessen Nachfolger Hakim an der Pariser Église de la Trinité 1993 wurde und es bis 2008 war.
Christoph Kuhlmann erweist sich als brillanter Interpret, der die irrwitzigen Tücken der Partituren mit Grandezza meistert. Dass gerade sie nur selten auf Konzertprogrammen auftauchen, liegt an der immensen Arbeit, sie einzustudieren. Kuhlmann hat sich diese Arbeit gemacht, auch zusammen mit Naji Hakim, bei dem er in Paris studiert hat. Neben der Qualität des Interpreten ist es vor allem aber auch die noble Orgel der Marienbasilika in Kevelaer, von Kuhlmann ganz bewusst als «Partner» gewählt, bietet sie doch alle Farben für Hakims Musik. Und: In Kevelaer krönen drei Chamaden (horizontal in den Kirchenraum hinein sprechen­de Trompeten-Register) den Gesamtklang – Eins-zu-Eins-Kopien jener Chamaden von Sacré-Cœur, die in Hakims Frühwerken eine unverzichtbare Rolle spielen!
Aufnahmetechnisch ist diese CD ein Glücksfall, weil der Spagat gelungen ist zwischen möglichst kathedralhaftem Raumklang und größtmöglicher Transparenz, Durchhörbarkeit und Klarheit der musikalischen Strukturen und Linien. Besser geht es nicht!
Christoph Schulte im Walde