Ashley, Robert

Outside of Time | Außerhalb der Zeit

Ideas about Music | Gedanken über Musik

Verlag/Label: MusikTexte, Köln 2009
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/05 , Seite 92

Das Schaffen des Komponisten Robert Ashley erfährt hierzulande immer noch viel zu wenig Beachtung, obgleich dem US-Amerikaner doch eine bedeutsame Vorreiter-Stellung in Bezug auf eine Neudefinition des Musikthea­ters zukommt. Wie die schon seit geraumer Zeit in der «Edition MusikTexte» unter Gisela Gronemeyer und Reinhard Oehlschlägel publizierten Quellenbände überzeugt auch die vor­liegende Veröffentlichung durch eine reiche Materialauswahl, die nicht nur die teils sehr schwer zugänglichen Dokumente verfügbar macht, sondern auch eine ganze Reihe bislang unpublizierter Texte zu einem umfangreichen Lesebuch bündelt, anhand dessen man sich über verschiedene Facetten von Ashleys Arbeit informieren kann. Die bewährte, schon in früheren Bänden getroffene Entscheidung zur zweisprachigen Konzeption ist sehr lobenswert, da sie dem Leser die Möglichkeit bietet, die von Ralf Dietrich in enger Absprache mit dem Komponisten ausgewählten und in gelungener, flüssiger Übersetzung prä­sentierten Quellen mit den jeweiligen Originaltexten zu vergleichen.
Die Präsentation des Materials orientiert sich an einer umfangreichen «musikalischen Autobiografie» Ash­leys aus dem Jahr 2001, in welcher der Komponist im Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte zentrale Phasen seines Schaffens benennt und zu bewerten sucht. Einige der hier hervorgehobenen Ereignisse – etwa die Leitung der legendären ONCE Group, eines Künstler- und Musikerkollektivs, das sich der Erkundung alternativer künstlerischer Strategien verschrieben hatte (1964-72), oder die Unterrichtstätigkeit am Mills College (Oakland, CA) –, aber auch Werke wie die siebenteilige Fernseh-Oper Music with Roots in the Aether bilden eine Art roten Faden, an dem sich der weitere Inhalt des Bandes orientiert.
Spannend sind Ashleys Texte vor allem dann, wenn sie von eher anekdotischen Schilderungen Abstand neh­men und substanzielle Informationen zu den ästhetischen Vorstellungen ihres Autors preisgeben: So kann man beispielsweise etwas über das «Drone»-Konzept lesen – eine Begrifflichkeit, die der Komponist für Musik verwendet, die sich nicht oder nur sehr begrenzt mit der Zeit zu verändern scheint –, aber auch etwas über die Möglichkeit grafischer Notationsformen, über den Umgang mit Sprache sowie über Ashleys «Opern»-Begriff, der so gar nichts mit den traditionellen europäischen Vorstellungen von der Beschaffenheit musikalischer Bühnen­werke zu tun hat. Gerade hierin offenbart sich jedoch der faszinierendste Aspekt von Ashleys Schaffen, der sich anhand zahlreicher teils detaillierter Werkbeschreibungen weiter vertiefen lässt: Der Komponist entwickelt aus der Zusammenschau seiner eigenen kulturellen Wurzeln mit den technischen wie medialen Möglichkeiten seiner Zeit neue künstlerische Ausdrucksformen, die als Beispiel dafür dienen können, wie kreativ er mit den ihm zur Verfügung stehenden Materialien umgeht, um sie zur Schaffung einer in sich schlüssigen, intermedialen und spartenübergreifenden Kunst zu formen.

Stefan Drees