Werke von Hèctor Parra, Elena Mendoza, Miguel Pérez Inesta, Juan Maria Cué und Alberto Posadas

Palimpsesto

Verlag/Label: Testklang TK004, CD und DVD
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/02 , Seite 90

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Einen instruktiven Einblick in die momentan besonders lebendige Neue Musik-Szene Spaniens gewährt diese glänzende Einspielung des Berliner Zafraan Ensembles mit fünf Kom­ponistInnen der mittleren Generation, darunter einige Erstaufnahmen. Strukturelle Komplexität und expressive Unmittelbarkeit gehen hier schillernde Symbiosen ein.
Hèctor Parra knüpft in Ciel Rouillé (2005) für Flöte, Saxofon, Perkussion und Klavier ein dichtes Geflecht
impulsiver Gesten, wo melodische Trümmer und raue perkussive Akzente scheinbar unkontrollierte Bewegungsverläufe nehmen. Eine nervöse Spannung beherrscht auch Elena Mendozas fast identisch besetztes Díptico (2003/04), das kleinste Motivpartikel in wirre Wiederholungsschleifen einbindet, ein ephemeres Gewimmel, in dem sich Motive, Farben, Rhythmusgestalten immer nur für Momente verfestigen und nie auf den Punkt kommen. Eher flächiger gearbeitet ist Alberto Posadas (*1967) ägyptisch inspiriertes Nebmaat (2003), dessen Klangbewegungen zu Strömen von schlierig-quecksilbener Oberflächenbeschaffenheit verklumpen und sich schließlich in gleißende Höhen verflüchtigen.
Besonders beeindruckend: El Espacio Interior von Juan María Cué, das mit raumgreifenden Geräusch- und Resonanzklängen beginnt und am Ende explosive Expressivität entwickelt. Miguel Pérez Inesta hingegen, der Klarinettist des Zafraan Ensembles, hat Musik von Luys de Narváez aus dem 16. Jahrhundert zu einem Stück komprimiert, in dem die Renaissance-Vorlage Guárdame las Vacas quasi pointillistisch zerstäubt wird. In dieser wunderhübschen Zweiminuten-Miniatur offenbart und verdichtet sich die ganze Klangkultur der international besetzten Formation wie in einem Brennglas.
Die perspektivenreiche Vielschichtigkeit all dieser Instrumentalstücke geht wunderbar zusammen mit der Idee des «Palimpsests» und ihrem Gedanken der Schichtung, Überlagerung, Überschreibung, die diese Produktion aus dem Hause Testklang in Wort, Bild und Ton zusammenhält, die wie üblich als kleines editorisches Gesamtkunstwerk erscheint. Schon das Booklet präsentiert sich als ‹multimediales› Konglomerat mit einem sehr schönen Text zum Thema von Janis El-Bira, einem Häuflein Gedichte aus diversen Jahrhunderten in vier Sprachen und Würfel-Objekten des Künstlers Luis Ángel Prestell, die auf ausgefeilten «Schichtungen» ihrer Oberflächen beruhen und ihrerseits zum Kern der grafischen Gestaltung von Fabian Lefelmann wurden. Vielleicht ein bisschen zu viel (-schichtig) des Guten?
Damit aber nicht genug. Auf der DVD finden sich eine filmische Umsetzung von Parras Ciel Rouillé von Martin W. Maier, wo ein kopfüber hängender, mit Seilen zu einem regungslosen Bündel zusammengeschnürter Körper zwölf quälende Minuten lang «entbunden» wird, eine Gedichtrezitation von José Antonio Rodrígez Alva sowie mehrere Interviews mit fast allen Beteiligten. Dort erfährt man zwar relativ wenig über die eingespielten Stücke. Aber der Grundgedanke von Testklang ist Poesie, nicht Information …
Dirk Wieschollek