Werke von Rebecca Saunders, Benedict Mason, Luke Bedford und John Zorn
Pandora’s Box
Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 4
Die Klänge dehnen, stauchen, biegen und brechen sich wie in einem Spiegelkabinett. Rebecca Saunders schickt das Streichquartett in Fletch von 2012 durch wilde Flageolett-, Flautando- und Glissando-Orgien, sodass ein prismatisch klirrendes und flirrendes Geflecht entsteht. Daraus erheben sich immer wieder cantus-firmus-artig gestreckte Linien der Violine in hoher Lage und des um eine Oktave tiefer gestimmten Violoncellos in Kontrabasslage. Vor der bewegten Kontrastfolie treten diese Phantommelodien mit geisterhafter Ruhe und Schönheit hervor. Erst während der letzten Minuten des viertelstündigen Werks beruhigt sich das hyperagile Treiben. Es gibt Momente der Stille und zunehmend reduzierte, immer zartere Klänge, die endlich vollends verebben. Das Arditti Quartet gestaltete den weiten Spannungsbogen dieses Werks stimmig in einem von zwei Konzerten bei «Wien Modern» 2013, dem «Partner-Festival» des Labels, dem sich alle vier Live-Mitschnitte und Ersteinspielungen der CD verdanken.
Der Titel Pandoras Box der Produktion verdankt sich dem damals uraufgeführten Streichquartett von John Zorn, das mit der Büchse der Pandora neben allen Übeln der Welt zugleich eine Vielzahl stilistischer Reminiszenzen ausschüttet. Schon der vom Komponisten auf Deutsch verfasste und von der Sopranistin Sarah Maria Sun teils deklamierte, teils gesungene Text schwankt zwischen Neo-Expressionismus und Surrealismus: «Atmende Strände / Tauschimmer / Alchemistische Widersprüche / Lust, Verzauberung / und ein ätherischer Seelenschatten
» Die Musik atmet viel Wiener Schule-Nervosität, wandelt auf den glitzernden Bahnen von Pierrot lunaire und Debussys Mélodies. Zu den Stichworten «Stürme» und «blauäugige Dämonen» erhebt sich ein düsteres Melodram mit gehetzten Läufen, Tremoli, Kratzen und Kreischen. Auch sonst wird die wunderbare Sängerin häufig mit Vokalisen und Koloraturen in Spitzenlagen um das dreigestrichene c getrieben. Textstellen wie «Buch des Bösen» oder «Engel schaut auf!» illustrieren wahlweise drohend-statische Liegeklänge in fahler Tiefe oder süß lockende Terzen der Violinen. Mit zu viel Ernst gehört, wirkt das altbacken und prätentiös. Ironisch als «Schmonzette» genommen, hat diese Musik jedoch durchaus ihren Reiz.
Das zweite Quartett von Benedict Mason bildet mit zwei rhythmisch pulsierenden Scherzi einen Rahmen für zweimal zwei hinsichtlich Spielweise, Klang, Tempo und Dynamik kontrastierende Charakterstücke. Deren erstes Satzpaar stellt mittels Übedämpfern und col legno-Spiel traumhaft verschleierten Akkorden eine perkussive Heterophonie entgegen. Das zweite Paar lässt auf gleitende Harmonien plötzlich mit Plektren geschlagene und gezupfte mikrotonale Texturen folgen. Bei Luke Bedfords Wonderful Four-Headed Nightingale schließlich hat man den Eindruck, die Musiker kämen über das Stimmen ihrer Instrumente nicht hinaus, spielen sie doch zunächst nur verschiedene Folgen und Kombinationen leerer Saiten: durchschnittliche Musik, aber in bestmöglicher Interpretation.
Rainer Nonnenmann