Phantasy of Spring

Werke von Morton Feldman, Bernd Alois Zimmermann, Arnold Schönberg und Iannis Xenakis

Verlag/Label: ECM New Series 2113 476 3310
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/02 , Seite 86

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5
 

Deutlicher lässt sich der Spaltklang zwischen den Instrumenten nicht in Szene setzen. Morton Feldmans Spring of Chosroes von 1978 beginnt mit extremen Registern: Dumpfen Basstönen im Klavier setzt die Violine fragile Liegeklänge und Pizzikati in klirrender Höchstlage entgegen. Und doch dient die jäh aufgerissene Kluft nur als Vorhang für vereinzelte Geigentöne in warmer Mittellage, die unvermutet menschlich zu summen und singen beginnen. Der auskomponierte Kontrast zur sterilen Hammermechanik des Pianoforte legt – auch dank hervorragender Einspielung und Aufnahmetechnik – den Fokus auf die Körperhaftigkeit und den geradezu fleisch­lichen Geräuschanteil der Klangerzeugung mit Rosshaar und Fingerkuppen.
Noch größere Belebung findet der Violinklang im freien Fluss der schnell wechselnden Artikulationsweisen von Arnold Schönbergs Phantasy for Violin, bei der das Klavier
begleitend zurücktritt. Carolin Widmanns Tongebung ist hier mit gutem Recht von teils schneidender, metallischer Schärfe, bietet aber zu wenig Ausgleich im anderen Extrem. Manche Legatolinie dieses Spätwerks von 1949 hätte wohl weicher und seelenvoller mit mehr «Wiener Espressivo» gespielt werden können, vor allem die flüchtigen Anklänge an Trauervioline, Wienerlied und Heurigenmusik.
Kontrastiv angelegt und von Tanzidiomen durchdrungen ist auch Bernd Alois Zimmermanns fast gleichzeitig, 1950, entstandene Sonate für Violine und Klavier. Über perkussiv forcierte Klaviermotorik tritt die Violine im Kopfsatz mit ruhigen Kantilenen, die sich jedoch schnell hochexpressiv steigern und schließlich die Verhältnisse umkehren. Diesem zornigen, ungebärdigen Satz folgen eine still-resignative Trauermusik und ein furioses Schlussrondo mit nervös zuckenden metrisch-rhythmischen Versetzungen à la Strawinsky. Zimmermanns Sonate ist ein fulminant virtuoses und von den Inter­preten ebenso furios gespieltes Konzertstück, das der damals 32-jährige Komponist nicht umsonst noch im selben Jahr zum Violinkonzert umarbeitete.
Dikhthas von Iannis Xenakis schließlich übersetzt Parabeln, Hyperbeln und Asymptoten in große und kleine Glissandokurven, welche die Grifffinger in wildem Schwung längs der Violinsaiten heiß laufen oder im Nanobereich feister mikrotonaler Schwebungen verharren lassen. Die stochastisch auf 88 Tasten verteilten Tonpunkte platziert Pianist Simon Lepper mit höchster Treffsicherheit und Prägnanz, so dass keinerlei Eindruck von Zufall aufkommt. Ein Wermutstropfen bleibt, gerade weil die CD so schön ist: Sie ist mit 52 Minuten zu kurz und hätte noch Platz für andere Kostbarkeiten geboten.

Rainer Nonnenmann