Platz, Robert HP

Piano Pieces

Verlag/Label: NEOS 10715
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/02 , Seite 84

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 3
Gesamtwertung: 4


Schon bei Arnold Schönberg war das Klavierwerk eine kompositorische Schaltzentrale, wo sich ästhetische Richtungswechsel wie in einem Brennglas bündeln. Und auch bei Robert HP Platz hat das Klavier seinen signifikanten Ort im Gesamtwerk, ja mehr noch: ist jede einzelne Komposition als Teil eines übergeordneten großen Ganzen gedacht, das Platz als eine Art «formpolyphones» Gewebe begreift, wo die einzelnen Bausteine sich selbst genügen und trotzdem einen integralen Werkkomplex konstituieren.
Dass der umtriebige Komponisten-Dirigent, der bei Fortner und Stockhausen studierte, alles andere als «Kapellmeistermusik» betreibt, sondern in der Expressivität der Schönberg-Schule seine Wurzeln hat, macht gleich «trail» Klavierstück 1 (1981) offenkundig, das mit raumgreifendem Anspruch und bemerkenswerter Reife «Herz und Hirn in der Musik» vereint, um noch mal ein Wort Schönbergs zu bemühen. Fast wäre man
geneigt, hier einen «Komponisten in der Webern-Nachfolge» zu sehen, so kristallin sind hier die Strukturen, so expressiv gespannt das Melos, so sprunghaft die Struktur, flüchtig die Gesten. Letztlich aber ist die Sprache dieser sieben «Teilmusiken» von trail dann doch zu vielfältig, die hier Platz’ Vorstellung von einem «Hyperzyk­lus» musikalisch zum Ausdruck bringen, die auf Forschungen des Chemie-Nobelpreisträgers Manfred Eigen zurückgeht. Die Idee, komplexe polyphone Strukturen dadurch herzustellen, dass verschiedene Systeme konkurrieren und sich dabei trotzdem gegenseitig ergänzen und durchdringen, findet sich hier mit lyrischer Eindringlichkeit verwirklicht.
Ein noch intensiveres Abtauchen in den Einzelklang legt Klavierstück 2 (1984) an den Tag, dessen Form auf das unvollendete Opernprojekt Verkommenes Ufer zurückgeht. Die dramatischen Untertöne dieser teilweise mit manischen Repetitionen und massiver Akkordik auf der Stelle tretenden Musik werden von Rolf Hind mit kraftvoller Gestik herausgekitzelt. Allerdings ist das integrierte Zuspielband mit synthetischen Klängen aus dem Experimentalstudio des SWR trotz gleicher Materialbasis ein eher gewöhnungsbedürftiger Fremdkörper im Geschehen.
Während im Klavierstück 3 (1988 aus dem Ensemblestück from fear of thunder, dreams erwachsen) und «up» Klavierstück 4 (1997/98) die Konzent­ration auf die unmittelbare Klanglichkeit des Klaviers vor allem auf extreme Lagenkontraste und das Wechselspiel von schneidenden Akkorden und flüchtigem Lineament aus ist, demonstriert «Unter Segel» Klavierstück 5 abschließend noch mal die ganze lyrische Virilität von Platz’ Klavierwerk in sechs aphoristischen Sätzen, die mit schwereloser Leichtigkeit durch melancholisch gestimmte Räume treiben.
Hind bewältigt diese schwierige und zugleich immens musikalische Musik mit stupender Virtuosität, gestischer Impulsivität und der Fähigkeit, mit großer dynamischer Spannbreite feinste Klangnuancen zu modellieren. Dass Hind selbst als Komponist tätig ist, kommt dieser veritablen Klangbildhauerei nur zugute.

Dirk Wieschollek