Sabaneev, Leonid

Piano Trios

Verlag/Label: GENUIN classics GEN 12236
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/03 , Seite 85

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Entdeckungen sind mittlerweile ihre Spezialität: Das Duo Ilona Then-Bergh (Violine) und Michael Schäfer (Klavier) veröffentlicht nunmehr seit sieben Jahren als passionierte «Trüffelsucher» verschollene Schätze aus dem Bereich der Kammer- und Klaviermusik in der Reihe «Unerhört» des Leipziger Labels Genuin. Bei der hier nun neu vorliegenden sensationellen CD handelt es sich um nichts Geringeres als um einen Fund von musikhistorischer Tragweite.
Vor allem das 36-minütige zweite Klaviertrio des russischen Komponisten und Musikkritikers Leonid Sabaneev (1881–1986) hat das Zeug dazu, Reclams Kammermusikführer und andere Lehrbücher um eines der schönsten, gewichtigsten und rätselhaftesten Klaviertrios der Moderne zu ergänzen. Entstanden in den Jahren 1923/24, gehört es in eine Reihe der ganz großen Werke, die im 20. Jahrhundert für diese Besetzung geschrieben wurden: von Max Reger (op. 102), Maurice Ravel (Trio a-Moll) und Dmitri Schostakowitsch (op. 67), um nur diese zu nennen.
Doch schon Sabaneevs erstes Trio von 1904 ist eine echte Entdeckung. Mit seinem nervös gehetzten, unheimlich brüchigen Duktus scheint es den heraufziehenden Expressionismus zu antizipieren. Vollends morbide erscheint das tonal-harmonische Gefüge in dem rabenschwarzen zweiten Trio, das man zu den finstersten und verstörendsten Kompositionen seiner Zeit rechnen muss. Selbst die gewaltige Tripelfuge genau im Zentrum des Trios bietet keinen sakrosankten Schutzraum kontrapunktischer Gelehrsamkeit, sie bildet auch, wie oft bei Max Reger, kein «Bollwerk» gegen die Zersetzung der Harmonik und eine bis zur Unkenntlichkeit der Themen hypertrophe Chromatik, sondern ist genauso apokalyptisch und sinister konzipiert wie die wenigen Stellen von fragiler Schönheit, die wie irreale Inseln im Meer der Finsternis liegen und die umgebende Nacht nur noch bedrohlicher wirken lassen.
Auch wenn die Werke im Umkreis von Alexander Skrjabin entstanden sind und ihre Wurzeln im mythischen Symbolismus genuin russischer Spielart ha­ben mögen, handelt es sich hier doch um absolut eigenständige, ja singuläre Tonschöpfungen von größter Originalität und Ausdruckskraft. Ilona Then-Bergh, Wen-Sinn Yang und Michael Schäfer interpretieren diese Trouvaillen auf einer künstlerischen Höhe und mit einem rückhaltlosen Engagement, dem man die Entdeckerfreude förmlich ablauscht. Unterstützt werden sie dabei von einer lupenreinen Aufnahmetechnik, die die beiden Trios bin in ihre feinsten Verästelungen hinein ausleuchtet.
Diese CD ist ohne Zweifel eine der wichtigsten Kammermusik-Aufnahmen und -Entdeckungen der letzten zwanzig Jahre. Zuvor erschien von Schäfer/ Then-Berg bei Genuin die herausragende Aufnahme der Violinsonaten von Grigorij Krein und Samuil Feinberg, zweier russischer Juden, die genau wie Sabaneev zum Skrjabin-Umkreis zählten. Aufschlussreich ist dabei, dass Saba­neev für den 1912 erschienenen Almanach Der Blaue Reiter den Beitrag «Prometheus von Skrjabin» verfasste. Dass seine Klaviertrios nur in einer schlechten Kopie auf Mikrofiche in der Berliner Staatsbibliothek überliefert wurden, ist, am Rande bemerkt, ein Skandal – und Glücksfall gleichermaßen.

Burkhard Schäfer