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Werke von Sascha Janko Dragicevic, Enno Poppe, Pierluigi Billone und Franck Bedrossian

Verlag/Label: Ensemble Modern Medien EMSACD-002
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2009/05 , Seite 87

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

 

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Werke von Sascha Janko Dra­-
gi´cevi´c, Enno Poppe, Pierluigi
Billone und Franck Bedrossian
Johannes Schwarz, Fagott
Ensemble Modern Medien
EMSACD-002

Während zeitgenössische Komponisten die Oboe wegen der Wandelbarkeit ihres Klangs fast ebenso schätzen wie die sonst favorisierte Klarinette, Trompete oder Posaune, fristet das der Oboe nächstverwandte Fagott in der neuen Musik ein Schattendasein. Obwohl in vielen Ensembles vertreten, spielt es meist nur eine untergeordnete Rolle. Umso größer ist das Verdienst des Fagottisten Johannes Schwarz – seit 2003 Mitglied des Ensemble Modern –, auf einer SACD des ensembleeigenen Labels fünf Stücke eingespielt zu haben, welche die erweiterten spiel- und klangtechnischen Möglichkeiten des Instruments exemplarisch ausloten.
Der mit Abstand wichtigste Beitrag stammt von Pierluigi Billone. Sein Legno. Edre II. EDRE ist ein echter Meilenstein der neuen Fagott-Musik. Der 1960 geborene Italiener zeigt sich als gelehriger Schüler Lachenmanns, dessen Methode der kon­kreten Materialerkundung er systematisch auf das Doppelrohrblatt-Holzblas-Bassinstrument anwendet. Neben Mikrotönen, Multiphonics und nahtlosen Glissandi faszinieren diejenigen Passagen am meisten, bei denen zwischen zwei oder gar drei Tönen, die als Einzelklänge unhörbar bleiben, Interferenzen und Schwebungen in allen möglichen Dichten und Geschwindigkeiten entstehen. Billone gelingt es, das Fagott nicht mehr wie Fagott klingen zu lassen, sondern als ganz neuen, unbekannten Klangerzeuger.
In den weiteren Werken der CD setzt sich immer dessen hartnäckige Aura durch, als bukolisch-naives Hirteninstrument, als Ulknudel des Orchesters oder überlange Tabakspfeife und behäbige Großvaterfigur. So verströmen sonor brummende Bass­töne im ruhigen Mittelteil von Enno Poppes Holz Solo sofort den Eindruck einer gewissen bärigen Unbeholfenheit, die nichts mit dem überragenden Spiel von Johannes Schwarz zu tun hat, der die sonst fast pausenlos ablaufende Motorik hyperagiler Tonketten mittels Permanentatmung spielend bewältigt.
Die übrigen Werke weichen der direkten Auseinandersetzung mit dem zählebigen Eigenklang des Instruments eher aus, insofern sie das Fagott mit Live-Elektronik und Zuspielungen elektronischer und transformierter konkreter Klänge kombinieren. Obwohl Sascha Janko Dra­gi´cevi´c Solopart und Elektronik in Autogamie oft rhythmisch-gestisch parallel führt, sticht der Originalklang des Fagotts unverkennbar heraus. In più (Ein­siedler trifft Stahlbaum) vom selben Komponisten spielt der Solist Ara­-bes­ken zu metallisch klirrenden Elektronik-Ostinati, deren motorischem Puls er sich immer weiter angleicht, bis er sich in einem regelrechten Geschwindigkeitsrausch über­schlägt. Finale Flucht in Frenesie ergreift auch Franck Bedrossians Trans­mission, wo der Fagottist elektronische Störgeräusche mit brodelnden Trillerketten beantwortet, Kratzge­räusche mit Überblasungen und eine Morse-Stakkato mit einer Schluss-Stretta vivacississime.

Rainer Nonnenmann