Heliocentric Counterblast

Planetary Tunes

Verlag/Label: Enja Records ENJ-9726
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/03 , Seite 83

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 3


Hundert Jahre wäre Sun Ra 2014 geworden, der 1993 gestorbene Musiker, der sich selbst als «from outer space» stammend beschrieb und mit seinem «Arkestra» klangliche Nachrichten aus dem interstellaren Raum verbreitete. Ebenfalls 2014 veröffentlichte die Berliner Formation «Heliocentric Counterblast» ihr zweites Album, nachdem zwei Jahre zuvor ihr erstes Tribute to Sun Ra erschienen war. Die Altsaxofonistin Kathrin Lemke hat acht Musiker um sich geschart, um einige Titel Sun Ras neu zu befragen. Die Formation, die einstmals als Projektensemble begonnen hatte, mauserte sich zu einer veritablen kleinen Bigband, die trotz nicht gerade einfacher finanzieller Situation immer wieder zu Probenarbeit und Konzerten zusammenfindet.
Auf ihrer aktuellen CD Planetary Tunes sind nicht nur einige Originaltitel aus dem umfangreichen Œuvre Sun Ras versammelt. Kathrin Lemke hat zudem diverse Eigenkompositionen beigesteuert – im Gestus der Musik des «Meisters vom Saturn». Doch was bedeutet dies? Der Gedanke an die Musik Sun Ras lässt sich kaum trennen vom visuellen Eindruck der Performance der Gruppe, ob man sie früher live erlebt hat oder nicht. Fotos sind prägend – und mit ihnen die Idee des Mystischen, des Skurrilen oder aber der liebevollen Scharlatanerie – je nach Ansicht, je nach Perspektive.
Die Berliner Band steht natürlich ohne Kostüme auf der Bühne. Als Erstes mag einem die klare Aufnahmetechnik auffallen, während viele Aufnahmen Sun Ras technisch eher zu wünschen übrig lassen – wenn man die diffusen Mitschnitte rückblickend als Verweis nicht ins Gesamtkonzept integrieren möchte. Die Musiker spielen mit hoher Präzision, ziehen große Bögen, die sich oft aus im Block und colla parte gespielten Themen entwickeln, um später wieder zu diesen zurückzufinden.
Während Sun Ra als einer der Pioniere des Free Jazz seine Musik in Richtung Freiheit aufgebrochen hat­te, steht einer Band wie derjenigen um Kathrin Lemke heute die ganze Bandbreite der Musikgeschichte of­fen. Und die MusikerInnen nutzen ein weites Feld zwischen eingängigen Melodien, straightem Spiel, frei flottierenden Passagen, rhythmisch vorwärtsdrängend oder scheinbar im Raum stehend. Es bleibt Platz für Mehrschichtigkeit, für Zerfall und frei fließende Soli, aber auch für Einwürfe, abstrakte Seitenwege, klangfarbliche Gestaltung. Und Fanfaren, Rufe, Hymnisches, Swing – all dies integriert auch Lemke in ihre Stücke, ganz wie Sun Ra.
Als «Bigband» mit acht bzw. in einigen Titeln neun Musikern ist Heliocentric Coun­terblast eine Formation, die die Tradition des Jazz in ihrem Facettenreichtum schätzt und dennoch die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte nicht verleugnet. Planetary Tunes ist eine gelungene Hommage an Sun Ra und zugleich zeitgenössischer Jazz für größere Besetzung.
Nina Polaschegg