Wohlhauser, René

Porträt-CD

Verlag/Label: Musiques suisses MGB CTS-M 117
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/02 , Seite 86

Musikalische Wertung: 3
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 2
Booklet: 4
Gesamtwertung: 3
 

Wohlhausers Thesen zur Ästhetik des Widerstands gegen «Indoktrination und Gleichschaltung des Empfindens durch süffigen Wohlklang», unter Berufung auf Hegel, Gorki und Adorno im Booklet vorgebracht, klingen stich­haltig. Ebenso seine Gedanken zum Wesen der musikalischen Zeit. Respektheischend auch seine Titel und Werkkommentare. Die klanglichen Einlösungen stechen minder, obwohl sich die besten Interpreten ihrer annehmen. Voran das Arditti String Quartet, das sich seinem «Stück über die Vergänglichkeit des irdischen Seins und die Transzendenz» namens carpe diem in beschleunigter Zeit (1998/99) mit routinierter Eleganz hingibt. Der Sinnspruch aus den Oden des Horaz hin, der «Zeitbaum» des Chaosforschers Friedrich Cramer her: Hingefetztes Partikelgestöber, aufgescheuchte Punktscharen, umherirrende Monaden und vom Winde verwehte Tonschlieren dienen der erwünschten «Konzentration auf den Augenblick» zwecks «vertiefender Erfahrung von Zeit» nur bedingt. Im Blick auf das «vom Schicksal umhergetriebene Individuum in der heutigen Zeit», das Géricault in seinem Gemälde Das Floß der Medusa voraus­sah, versinnbildlicht Wohlhauser im Cello-Solostück Entropía (1997/98) das Phänomen zunehmender Unordnung in geschlossenen Systemen, wobei der eigendynamische Auflösungsprozess neue Beziehungen hervorbringt. Ineinanderfließende Stimmungen zerrütten die Gedankenflucht für Violoncello und Klavier (1995), während die Quantenströmung für Flöte, Viola und Harfe (1996) «Übergänge von einem Energie­zustand in einen anderen» beschreibt. Erquickend die lerchenartige Musik für Flöte (2002) mit Tabea Resin.

Lutz Lesle