Zupková, Lenka

Prague | Hannover

Kompositionen für akustische und E-Violine mit Elektronik

Verlag/Label: Wergo artist.cd, ARTS 8115 2
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2009/04 , Seite 91

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 3
Booklet: 2
Gesamtwertung: 4

 

Der Titel der CD ist eine Hommage an die beiden Hauptstandorte der Geigerin Lenka Z?upková. Geboren in Tschechien und ausgebildet an der Janácek-Akademie in Brünn, ging sie für ein Aufbaustudium an die Hochschule für Musik und Theater Hannover. Von 1995 bis 2000 trat sie unter anderem als Aushilfsgeigerin bei der NDR Radiophilharmonie Hannover, dem Neuen Ensemble Köln und L’Arco Hannover in Erscheinung. Ihre wahre Leidenschaft aber, die Auseinandersetzung mit der neuen Musik, der Live-Elektronik, der E-Violine und Bratsche, hat sie dabei nie aus den Augen verloren. Eine CD-Einspielung wie prague | hannover mit Z?upková an der akustischen und elektronischen fünfsaitigen elektrischen Violine war deshalb längst fällig. Und doch stellt sie nur einen minimalen Ausschnitt von Z?upkovás vielfältigen Aktivitäten dar. Sehens- und hörenswert sind nicht minder die Koproduktionen der Geigerin mit dem Audiodesigner Andre Bartezki, der Flötistin Lenka Kozderkova, der Tänzerin Ursula Wagner oder dem Ensemble Megaphon für experimentelles Musiktheater.
Der verfremdete, geräuschhafte Geigenklang, den Z?upková auf ihrer neuen CD durch etliche Facetten bereichert, hat viele Gegenwartskomponisten fasziniert. Unter ihnen etwa den 1966 geborenen Thomas Stiegler. In seiner Sonata facile für Geige arbeitet er mit vier tiefen, aufgezogenen, zu einem Halbtoncluster gestimmten und circa fünf zusammengeknoteten Bogenhaaren. Derartige Präparierungen nutzt Z?upková jedoch nicht. Das Stück Libertinage für E-Violine und Verzerrer aus dem Jahr 2004 von Peter Köszeghy ist wie ein flimmerndes Mosaik strukturiert. Die Elemente nebst Springbogenpartien, Glissandi, hochbrillanten «normalen» Geigentönen und kratzendem Geräusch dauern nur wenige Sekunden an. Bei alledem spürt man förmlich den Geigenkörper: die Kon­turen werden nicht nur verwandelt, manche Übergänge sind gar nicht mehr erkenn-, respektive hörbar. Auch die Stimme oder schreckhaftes Einatmen werden eingebunden, und an einigen Stellen klingt die Geige wie eine E-Gitarre, so dass man sich zeitweise in eine Aufnahme mit Jimi Hendrix versetzt fühlt.
Eine neue Streichertheorie stellt Andre Bartezki in seinem Stück String Theory von 2005 auf. Es ist ein sehr viel klassischer geprägteres, horizontaler gedachtes Stück als das von Köszeghy. Zarte, hohe Tonflä­chen überlagern sich, und die Elektronik sorgt für eine Art steten «Verflatterns» oder «Verschwimmens» des Klangs. Das Geräuschhafte unter­mau­ert den Einzelton und verselbstständigt sich zunehmend, zuweilen mit Geräuschhaftem. Die abstrak­teste Kom­position der CD ist gewiss Zebra für E-Violine, Live-Elektronik und 4-Kanal-Tonband von Annette Schlünz. Unter den vielen jungen Avantgardisten dieser Werkauswahl mit Werken auch von Dorothée Hah­ne, Thorsten Töpp und der Geigerin selbst wirkt Vinko Globokar mit seinem Kartomlin Croisé fast schon wie ein Klassiker der Moderne.

Helmut Peters