Steen-Andersen, Simon

Pretty sound

Solo and chamber music

Verlag/Label: Dacapo 8.226523
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/04 , Seite 93

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 3
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4

Schon John Cage, dem es bekanntlich ein leidenschaftliches Anliegen war, die gewohnten Grenzen der Wahrnehmung auszuhebeln, hatte ein besonderes Faible dafür, das Unhörbare hörbar zu machen. Er bedauerte, dass die Mikrofontechnik seiner Zeit es nicht wirklich fertig brachte, die Geräusche zu vergrößern, die Pilze machen, wenn sie wachsen oder Insekten darin ihr Unwesen treiben. Für den dänischen Komponisten Simon Steen-Andersen ist es ebenfalls ein hörbares Bedürfnis, ganz nah an den Ursprung seiner Klänge heranzutreten und mit gezielter Mikrofonierung die Physis der Klangerzeugung zum integralen Bestandteil seiner Musik zu machen. Bei Steen-Andersen trifft sich Cage mit Lachenmann, wenn man so will, und die schmutzigen, hybriden Ergebnisse seiner Zoom-Techniken lassen aufhorchen.
Dabei werden nicht nur die sattsam bekannten Verfremdungsprozeduren altbewährter Klangerzeuger rekrutiert, sondern auch die Kapazitäten eines unkonventionellen Instrumentariums erforscht. In Study for String Instrument # 2 (2009) kommt das Gitarrenpedal «Whammy» zu Ehren, das die Klänge von Cello und Gitarre bis zur Unkenntlichkeit verbeult. On And Off And To And Fro (2008) verwendet nicht nur Saxofon, Vibrafon und Cello, sondern auch drei Megafone, die erst wie Verstärker eingesetzt werden, später ein durchgeknalltes Eigenleben als Rhythmusmaschine oder Sirene entwickeln. Der schon im Titel implizite Aspekt der Bewegung ist nicht nur musikalisch wesentlich für die Arbeiten von Steen-Andersen, ihr Performancecharakter ist unüberhörbar, wenn auch per Aufnahme nur bedingt transportierbar. «An und Aus und Hin und Her», so geht es hier zu zwischen kurzen Melodiefetzen und sattem Lärm, abrupten Unisoni und wirren Aufspaltungen, verzerrten Atemgeräuschen, unerträglich hohen Frequenzen oder ächzenden Pressions-Geräuschen – Mühsal der Klangproduktion.
Subtile Klang-Mikroskopie und improvisatorische Gestik vereinen sich in Rerendered (2003) zur «kollektiven Musik» für mehrere Akteure an einem Klavier, deren Klangresultate allerdings sattsam bekannt erscheinen, auch wenn sie das Innere des Instruments betreffen. Weitaus interessanter: In Her Frown (2007) für zwei Performer, das sich der Unmöglichkeit von Kommunikation in Gestalt eines absurden Geräusch-Theaters annimmt und dabei eine Vielzahl diffuser Sprach- und Laut-Artikulationen auffährt, welche die Textebene bewusst verunklaren. Zusätzlich entfachen geschüttelte und geblasene Papierbögen hier veritable Geräuschgewitter, werden die Schraffuren eines Stifts durch extreme Klangvergrößerung zum tosenden Sturm.
Das alles ist nicht wirklich neu und längst von Cage und Kagel vorexerziert. Dennoch darf man gespannt sein, auf welche Weise Steen-Andersen in Zukunft so traditionelle Formate wie das Streichquartett (für Witten 2012) und den großen Orchesterapparat (für Donaueschingen 2013) verbiegen wird.
Dirk Wieschollek