Mansurian, Tigran
Quasi parlando
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5
Liest man den sehr informierten Booklet-Text von Wolfgang Sandner, geht es bei der Musik der neuesten CD-Veröffentlichung aus dem Hause ECM Records um Steine, um Armenien und dessen alte Architektur, um Monodie als reduziertes Mittel zum unmittelbaren asketischen Ausdruck. Nicht zuletzt um «Geist, Magie, reine Musik» so paraphrasiert Sandner die Ausnahmeviolinistin Patricia Kopatchinskaja, die sich derart über die Werke von Tigran Mansurian äußert.
In der Tat bestätigt der Höreindruck: Die Sedimente sind tief und reich unter diesen präzise gesetzten Tönen, von denen kein einziger überflüssig oder deplatziert wäre. Ein klares lineares Denken bestimmt noch die komplexesten Zusammenklänge im die CD einleitenden Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Streichorchester. Die einprägsame Motivik des ersten Satzes entwickelt sich nach und nach zu einer bruitistischen Klangwand, in der das Orchester wild glissandierend und tremolierend die unruhige Szenerie für das verschlungene Streitgespräch der Soloinstrumente liefert. Zweifellos wird hier Existenzielles verhandelt, so markerschütternd bricht das Fortissimo über den Hörer herein. Die Musik benötigt mehrere Teilschritte, bis sie sich wieder gefangen hat. Im zweiten Satz wirkt sie daraufhin in ihrer Zurückhaltung noch gefestigter, wenn sie das zu Beginn des Doppelkonzerts exponierte Motiv mit der markanten fallenden Quart am Ende wieder aufgreift.
In Anbetracht dieser Wirkungen wird deutlich, weswegen Sandner in seinem Text immer wieder auf den Bezug zur überwältigenden Schlichtheit in der armenischen Architektur, die er in Mansurians Vorliebe für die simple Form widergespiegelt sieht, zurückkommt. Die hier unter dem Titel des 2012 für die Cellistin Anja Lechner entstandenen Quasi parlando versammelten Stücke sprechen auf die gleiche Art zum Hörer und sie machen nachhaltig sprachlos.
Man kann versuchen, sich ihnen über musikalische Parameter zu nähern, kann den vollendeten homophonen Streicherklang der Amsterdam Sinfonietta hervorheben, der der Musik wie angegossen ist. Man kann die beiden Solistinnen mit Lob, Glückwünschen und Dank überschütten. Aber das alles passiert letztlich anderswo bereits genug und bleibt unbefriedigend. Der Versuch, angesichts distinkter Merkmale in die Suche nach Vorbildern und Analogien in anderen Künsten auszuweichen, ist sicher der dankbarste und sinnvollste Weg. Aber auch dieser wurde bereits beschritten. Vermutungen über die schier unmenschliche Fokussiertheit anzustellen, die eine solch komprimierte und im positivsten Sinne meditative Musik hervorgebracht hat, scheint zum einen müßig und wäre zum anderen rahmensprengend. So bleibt an dieser Stelle nur, die etwas unbeholfene Empfehlung auszusprechen, sich mit diesen Stücken in einen dunklen Raum zurückzuziehen, die Anlage etwas oberhalb der gewöhnlichen Lautstärke einzustellen, die Augen zu schließen und zu hören.
Patrick Klingenschmitt