Hosokawa, Toshio
Quintets & Solos
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 4
«Musik ist eine Kalligraphie durch Klänge, die auf der Leinwand des Schweigens gemalt wird.» Mit dieser Aussage zeigt der 1955 in Hiroshima geborene Komponist Toshio Hosokawa seine Affinität zur fernöstlichen Schriftkunst und zu den Prinzipien asiatischer Philosophie. Zwar verbrachte Hosokawa längere Studienjahre in Deutschland, nämlich ab 1976 in Berlin bei Isang Yun und von 1983 bis 1986 in Freiburg bei Klaus Huber, doch gerade die Begegnung mit der westlichen Musik ließ ihn den Wert der eigenen kulturellen Wurzeln erkennen. Während in Europa Musik erst als Folge von Tönen Gestalt gewinnt, lebt in der asiatischen Musik schon der Ton für sich. Vom Ansatz bis zum Verklingen ist er Wandlungen unterworfen, schwebt und vibriert, ändert seine Dynamik und Farbe, schwankt in der Höhe und wird ornamental ausgestaltet.
Diesem ästhetischen Grundprinzip folgen sämtliche auf der vorliegenden CD-Neuveröffentlichung eingespielten kammermusikalischen Werke Hosokawas. Gerne erweitert der Komponist die klassische Streichquartettbesetzung durch ein Zusatzinstrument: so in Landscape II mit der Harfe oder in Fragmente II mit der Altblockflöte, deren Spiel sich an dem der japanischen Bambusflöte Shakuhachi orientiert, was die Geräuschhaftigkeit mancher Anblastechniken betrifft. Die Bezeichnung «Fragment» bei diesem Stück (und einer Werkreihe verwandter Kompositionen) verwendet Hosokawa übrigens nicht im Sinne einer romantischen europäischen Ästhetik; für ihn ist Musik ein Bestandteil der Lebensenergie des «Ki».
Der nachempfundenen Begegnung von Ost und West in Fragmente II folgt die ganz reale in Landscape V, wo das Streichquartett mit der japanischen Mundorgel Sho kombiniert wird. Von fast unhörbarem Ansatz aus beginnen deren Klänge bis ins Grelle zu wachsen und wieder bis zum Verlöschen zu schwinden: wie ein permanentes Ein- und Ausatmen wirkt die Musik in diesem Stück. Die Streicher lösen sich erst allmählich vom Hintergrund: den Ton der Mundorgel färbend und rhythmisch belebend, mit einem leisen Raunen und Wispern beginnend, bevor sie zunehmend eigenständig hervortreten.
Im Wechsel mit den größer besetzten Werken kann der Hörer der CD Hosokawas spezifischen Stil auch in drei Kompositionen für Solostreicher erleben. «In memoriam»-Werke sind sowohl die Elegy für Violine von 2007/08 wie die den Opfern des japanischen Erdbebens vom März 2011 gewidmete Threnody. Aus dem Nichts kommende Töne erleben in Letzerer leichte mikrotonale Schwebungen, verzweigen sich zur bordungestützten Zweistimmigkeit und münden zurück ins Unisono. Raumgreifendere Erregungskurven folgen, bevor die Komposition in Flageoletts entschwebt. Ohne inhaltlichen Bezug kommt dagegen der Small Chant für Violoncello aus: eine raffinierte Klangstudie aus Pizzicati, Pizzicato-Glissandi und erregten Tremoli bis zum Geräuschhaften, denen Hosokawa ruhige Legatopassagen als eigentlichen «Gesang» gegenüberstellt.
Gerhard Dietel