Goetze,Albrecht / Jörn Peter Hiekel (Hg.)

Religion und Glaube als künstlerische Kernkräfte im Werk von Olivier Messiaen

Ein Symposion des Meetingpoint Music Messiaen

Verlag/Label: Wolke, Hofheim 2010
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/04 , Seite 93

Weitgehend unbemerkt im Aufführungsrausch des Messiaen-Jahrs trafen sich im Dezember 2008 Kenner und Freunde seiner Musik unweit des StaLag VIII a, wo im Winter 1940/41 das berühmte Quatuor pour la fin du temps komponiert und aufgeführt wurde. Der Geschichtslast des Orts eingedenk, entstand in Görlitz-Zgorzelec nämlich ein so genannter «Meetingpoint Music Messiaen». Auf deutscher wie auf polnischer Seite der Doppelstadt ausgetragen, fiel das Symposion zeitlich mit der Grundsteinlegung des Messiaen-Zentrums in Zgorzelec zusammen. Es dient der produktiven Erinnerung an eine der prägenden Künst­lergestalten des 20. Jahrhunderts. Anstoßen möchte das Zentrum zudem «die Reflexion darüber, was Kunst zu leisten und wie sie das Leben zu bereichern vermag, zumal in düsteren Zeiten» (Vorwort zum Sammelband der Tagungsreferate).
Womit der Horizont der Veranstaltung umrissen ist, die sich einem der zentralen Themen im Reden über Messiaen widmete: Religion und Glau­be als künstlerische Kernkräfte seines Werks. Wobei die Palette der Vorträge von musikhistorischen «Rundumschlägen» und ästhetisch-philosophischen Einlassungen bis zu Betrachtungen einzelner Werke und höchst persönlichen Annäherungen und Einschätzungen reicht.
Seine Frage «Olivier Messiaen – ein Heiliger (Franziskus) der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts?» bindet Wolfgang Rathert an dessen Selbst­auskunft, er sei ein geborener Gläubiger, Musiker und (sanfter) Revolutionär. Daher das Sendungsbewusstsein, das den Franzosen lebenslang leitete: die Musik zu (vermeintlich) objektiven Fundamenten zurückzuführen, die er einerseits in der indischen Musik, der griechischen Antike und zumal in den «Gegen-Klängen» der Vogelwelt gewahrte, anderseits bei seinen Hausgöttern Debussy, Strawinsky und Mo­zart fand. Aufschlussreich auch Ratherts Vergleich mit der Religiosität Franz Liszts (siehe die Vogelpredigt des Heiligen Franziskus in den Années de Pèlerinage) und der Hinweis auf Busonis geistige Strenge samt Forderung einer «jungen Klassizität», an die Messiaen unmittelbar anknüpfen konnte.
Gleichsam als Sonne im Planetensystem geistlicher und spiritueller Pers­pektiven der neuen Musik ortet Jörn Peter Hiekel das Lebenswerk Messiaens: ein blickweitender Überflug mit Stippvisiten bei Pärt und Penderecki, Marek Kopelent, Galina Ustwolskaja, Stockhausen, Dieter Schnebel, Hans Zender und Toshio Hosokawa.

Lutz Lesle