Responses to Ives
Werke von Charles Ives, Walter Zimmermann, Michael Finnissy, James Tenney, Sidney Corbett und Oliver Schneller
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5
Die Zusammenstellung der Stücke macht diese CD zu einem regelrecht auskomponierten Album und Selbstporträt der ebenso vielseitigen wie ausgezeichneten Pianistin Heather ODonnell. Anlässlich des fünfzigjährigen Todestags von Charles Ives 2004 fragte die in Berlin lebende US-Amerikanerin bei verschiedenen Komponisten wegen «musikalischer Reflexionen» über Ives Bedeutung für ihr Schaffen an. Die entstandenen Hommagen brachte sie zur Uraufführung, spielte sie im Wechsel mit Ives-Stücken auf CD ein und schrieb auch noch sämtliche Kommentartexte im Beiheft dazu. Hier ist offensichtlich jemand mit großer Passion und ebensolcher Kenntnis am Werk.
Heather ODonnell spielt die pianistischen Extreme von Ives Musik voll aus. Dabei beweist sie Mut zu blendender Härte und geräuschhafter Rauhigkeit, wenn sich rasende Läufe, ratternder Kontrapunkt und orgelnde Akkordballungen bis an die Grenze zur Cluster-Harmonik überlagern, während sie im nächsten Moment voll Hingabe schlichtes melodisches Sentiment ohne Kitschgefahr als verinnerlichten Gesang auf die Tasten zaubert. Dann wieder schält sie aus kaum zu durchdringender Polyphonie bekenntnishafte Anklänge an Choräle und evangelikale Erweckungslieder, mit denen Ives Musik im Alltagsgetriebe die Spur des Transzendenten weist. Mit höchster Anschlagsdiversität zwischen watteweichen Tupfern und kraftvoll gestemmten Akkorden verhilft ODonnell auch dichtesten Texturen zu größter Klarheit. Beeindruckend ist ihre Interpretation von Ives Set of Five Take-Offs. Die fünf Initialzündungen lässt sie treffsicher in verschiedene Himmelsrichtungen abheben: hier die von unregelmäßigen Akzenten durchzuckte Motorik des Rough and Ready et al., dort das schlichte Mendelssohn-Romantik beschwörende Kleinod Song without (Good) Words.
Ives multipolare Musik reflektiert Walter Zimmermanns the missing nail at the river mittels des Kontrasts von sanftem Pianoforte und blechern-schepperndem Spielzeugklavier. Dagegen lässt Sidney Corbetts The Celestial Potato Field erdige Akkordik auf schwerelos gehauchte Einzelklänge treffen. Michael Finnissys Song of Myself ist eine intentionslose musica coelestis, die kurz zur Milchstraße aufschäumt und sich dann in der Schwärze des Alls verliert. Und während James Tenneys direkt auf den Saiten gezupfter Essay (after a sonata) ein Motiv aus Ives Concord Sonata zur meditativ schwebenden Konstellation aus funkelnden Klangsternen verwandelt, lässt Oliver Schneller in And tomorrow
langsam verklingende Töne dank zugespielter Klaviersamples mikrotonal eintrüben, unwirklich glissandieren, crescendieren und überlagern von irrwitzig schnellen Tonfolgen in klirrenden Höhen jenseits der begrenzten Tastatur.
Rainer Nonnenmann