Ripples – Minimalistic music for multiple guitars
Stücke von Steve Reich, Alvin Curran, Nicky Hind und Frederic Rzewski
Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 5
«Listen to this record extremely loud and in one sitting, open your windows, so your neighbours can enjoy it, too.» Ob das eine gute Empfehlung ist? Oder wird man sich, ihr folgend, dauerhafte Feinde schaffen? Denn für manchen Hörer bedeutet minimalistisch in ihren Loops kreisende Musik eher eine Qual als ein Vergnügen.
Als Exerzitium präsentieren sich insbesondere Frederic Rzewskis Moutons de Panurge. Der Werktitel, welcher nach Rabelais Pantagruel auf eine Schafherde anspielt, die sich, ihrem Leithammel folgend, ins Wasser stürzt, charakterisiert leicht ironisierend den mechanischen Aufbau des Stücks: aus einer sukzessive sich verlängernden, dann wieder verkürzenden Tonfolge. Die vorliegende Version für fünf elektrische Gitarren und vier Bassgitarren verläuft, den Anweisungen des Komponisten folgend, in einem strengen Unisono und nach anfänglichem Accelerando in absolutem Gleichlauf der Notenwerte. Fühlt sich der Hörer nach zwanzig Minuten gemartert? Oder kann er trotzdem John Cage zustimmen, wenn dieser empfiehlt: «Wenn etwas nach zwei Minuten langweilt, versuch es vier Minuten lang, wenn es immer noch langweilt, dann acht. Dann sechzehn
»?
Frappierend an der vorliegenden Einspielung ist jedenfalls, dass ein einzelner Musiker, der Gitarrist Jörgen Brilling, mit Hilfe von Playback-Technik und Live-Elektronik ganz allein die oft intrikat ineinandergreifende Vielstimmigkeit realisiert hat, die den Hörer zunächst ein ganzes Ensemble an Musizierenden als Klangquelle vermuten lässt. Brilling, seiner Herkunft nach klassischer Gitarrist, zeigt sich hier als neugieriger und technisch souveräner Experimentator, ob nun in den Patterns von Steve Reichs Electronic Counterpoint oder in der temporeichen Parforcejagd des Anfangsteils von Alvin Currans Strum City. Hier wird der Achtelpuls allmählich bis zum Tempo 560 beschleunigt, so dass ein ins Akustische versetzter stroboskopischer Effekt entsteht: Rasanz beginnt in Stillstand umzuschlagen.
Einen Gegenpol zu diesem Hochdrehen der Temposchraube bietet Nicky Hinds Komposition Ripples, bei der die Live-Elektronik quasi zum Kammermusikpartner des Gitarristen wird, der sein Spiel genau auf deren Echoeffekte abstimmen muss. Inspiriert wurde Ripples durch jene Erfahrung, dass selbst ruhiges Liegen im Wasser eines Swimmingpools kleine Wellen erzeugt, die zu ihrem Erzeuger zurückkehren: «Solange ich lebe, werde ich keine Bewegung vermeiden können, und jede meiner Bewegungen wird in irgendeiner Form zu mir zurückkehren.»
Die sonst auf elektronische Gitarrenklänge konzentrierte CD bietet zum Schluss eine Überraschung, indem sie mit Steve Reichs Clapping Music von 1972 endet, einer Studie für zwei Ausführende, deren mit klatschenden Händen geformte Patterns per Verschiebung aus dem Unisono weg- und dann wieder dorthin zurückführen. Auch hier ist es wohl neuerlich Jürgen Brilling allein, der dieses Duo mit sicherem Rhythmusgefühl in Szene setzt.
Gerhard Dietel