Hafner, Katie

Romanze mit einem Dreibeiner

Glenn Goulds obsessive Suche nach dem perfekten Klavier

Verlag/Label: Schott, Mainz 2009
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2009/05 , Seite 94

Das Leben des kanadischen Pianisten Glenn Gould ist in den Jahren seit seinem Tod im Jahre 1982 schon mehrfach intensiv erforscht worden: Autoren wie Kevin Bazzana, Otto Friedrich und Michael Stegemann haben umfangreiche Gould-Biografien vorgelegt, und weitere Publikationen, etwa Jonathan Cotts Telefongespräche mit Glenn Gould, haben dem Porträt des genialischen Künstlers weitere Facetten hinzugefügt. Die musikbegeisterte amerikanische Jour­nalistin Katie Hafner findet in ihrer soeben in deutscher Übersetzung erschienenen Studie dennoch einen eigenen Blickwinkel: Sie stellt Goulds «Romanze mit einem Dreibeiner» ins Zentrum, nämlich mit jenem unter der Bezeichnung CD318 geführten Steinway-Flügel, der für lange Zeit Goulds Lieblingsinstrument war und auf dem auch ein Großteil der legendär gewordenen Studio-Aufnah­men entstand, die der Pianist der Nachwelt hinterlassen hat.
Bittersüß wie jede Romanze war auch diese: Geschildert wird, wie der stets mit dem Klang und der Mechanik der verfügbaren Instrumente unzufriedene Glenn Gould auf das bereits ausrangierte, abgeschabt aus­sehende Aschenputtel CD318 stieß, seine Qualitäten erkannte und es mit Hilfe des Technikers Verne Edquist (konträr zum eigentlichen, volumi­nösen Steinway-Ideal) so weiterentwickelte, dass es seinen Anforderungen an Leichtgängigkeit der Mechanik und Durchsichtigkeit des Klangs entsprach. «Er ist eine Orgel, er ist eine Gruppe Virginale […] Er ist so ungefähr alles, was man daraus machen will. Er ist ein außergewöhnlicher Flügel», so schwärmte Gould. Das gemeinsame Glück von Interpret und Instrument fand freilich ein jähes Ende, als der CD318 bei einem Transport derartig beschädigt wurde, dass – aller Hartnäckigkeit Goulds zum Trotz – keine Reparatur mehr den einstigen Traumzustand wiederherstellen konnte.
Die Autorin bettet diese Kerngeschichte in ein breitgefächertes thematisches Umfeld ein. Selbstverständlich kommt sie nicht umhin, einen Lebensabriss Goulds zu bieten und seinen schwierigen Charakter wie auch die hypochondrischen Züge seiner Persönlichkeit zu beschreiben. Ferner erhält man Einblicke in das Auf und Ab der Firma Steinway, die schon einmal in Kriegszeiten Flugzeugteile produzieren musste, Informationen über den Beruf der Klavierstimmer und -intonateure und die besondere Eignung Sehbehinderter (zu denen Verne Edquist zählte) für diese Tätigkeit. Etwas überrascht ist man als Leser von einem Abstecher der Autorin in Goulds Privatleben, der auf Goulds schließlich unglücklich scheiterndes Verhältnis mit Cornelia Foss, der Gattin des Komponisten Lukas Foss, eingeht, deren Name in der bisherigen Gould-Literatur meist diskret verschwiegen wurde.

Gerhard Dietel